von Svetlana Klyushina, Russische Föderation

Über hundert Minderheiten und hundert Nationalitäten – das ist der Staat Russland. Hundert Sprachen. Alle Religionen . Die größten Volksgruppen sind Russen und Tataren. Der Großteil der Bevölkerung ist orthodoxen Glaubens. Es gibt etliche kleine Nationalitäten und Minderheiten, die heute nur noch wenige Tausend Vertreter zählen.

Viele nationale Minderheiten leben in Sibirien. Das Uralgebirge trennt den europäischen vom asiatischen Teil Russlands. Die Geschichte dieser Kolonisierung in Sibirien begann im 15. Jahrhundert durch den russischen Zar Ivan den Schrecklichen. Im 20. Jahrhundert nach der Oktoberrevolution und Stalins Politik des Vielvölkerstaates Sowjetunion wurden ihre Rechte auf nationale Eigenständigkeit nicht gewahrt. Ausschließlich die russische Sprache galt damals als National- Handels- und Verkehrssprache. Aus Gründen der Assimilation wurden viele Menschen umgesiedelt. Trotzdem erhielten die sibirischen Völker ihre Sprache, ihre Tradition, ihre Musik und nationale Feste z.B. Pajaram und Albudel mit Tänzen und schamanistischen Ritualen.

In den 90er Jahren, nach dem Zerfall der Sowjetunion, gab es die ersten Versuche, Verbesserungen für die sibirischen Bevölkerungsgruppen zu schaffen. Der Staat akzeptierte offiziell ihre Nationalität. Dieses riesige Gebiet im asiatischen Russland mit seiner Vielfalt der einzelnen Kulturen, den unterschiedlichen Lebensbereiche und Landschaften sind bis heute weitestgehend unbekannt.

Teleuten und Schorzen

Unbekannte sibirische Völker sind beispielsweise Teleuten und Schorzen. Sie leben in Zentralsibirien in der Nähe der Stadt Kemerovo an der Kasachischen Grenze. Das ist das wichtigste Kohleabbaugebiet Russlands. Die Teleuten zählen heute weniger als 3.000 Vertreter, Schorzen weniger als 16.000.

Die Schorzen wohnen in der schwer erreichbaren Bergregion Schoria, in Holzhäusern, die Ulus heißen. In diesem Gebiet gibt es keine Straßen und keinen Strom. Der Hubschrauber kommt einmal pro Monat und bringt Lebensmitteln und andere Dinge. Sie leben vor allem von der Jagd und vom Fischfang, sammeln aber auch Pilzen und Nüsse, die sie an lokale Genossenschaften verkaufen oder pflücken Farnkräuter für japanische Restaurants: 1kg Farn kostet 2 bis 3 Dollar. Sie sind gleichzeitig Anhänger des orthodoxen Glaubens und des Schamanismus. Die geistliche Mission von Altaj ist hundert Jahre alt. Die meistens haben zu Hause eine orthodoxe Ikone aber auch Attribute des Schamanenkults, die sie beschützen sollen. Ihre Siedlungen sind oft nicht erreichbar. Wenn jemand krank ist, dann wird er mit dem Hubschrauber ins Krankenhaus gebracht. In einigen Siedlungen gibt es einen Allgemeinen Arzt, aber oft gehen die Leute mit ihren Beschwerden wie früher zum Schamanen, der sie heilen soll.
Die meisten Kinder wohnen und lernen in Internaten, sie werden jeden Herbst nach Taschtagol mit dem Hubschrauber gebraucht.

Die Teleuten wohnen in der Nähe der Stadt Kemerovo, in der Taiga und ernähren sich hauptsächlich von der Landwirtschaft. Besonders der Alkoholkonsum ist ein Hauptproblem dieser Volksgruppe. Sie gehören zu den Völkern, die durch genetisch bedingten Enzymmangel sehr schnell alkoholabhängig werden. Sie haben ihre traditionelle Kleidung bewahrt und weben und nähen ihre Kleidung selbst und verzieren sie mit überlieferten Ornamenten. Der Schamanismus existiert dort bis heute. Die kulturgeschichtlich bedeutenden „Toskanaja Pisaniza“ sind 6000 Jahre alte Felsenzeichnungen mit Schamanen- und Jagddarstellungen. Die Kinder besuchen Schulen und haben Privilegien, wenn sie später ein Studium an der medizinischen Hochschule oder an anderen Universitäten aufnehmen möchten. Ihr Studium ist kostenlos. Dann gehen sie als Ärzten und Lehrer in ihre Siedlungen zurück.

Korjaken

Die Korjaken haben weniger als 1.000 Vertreter. Sie sind eines der kleinsten Völker Russlands. Korjaken leben auf der Halbinsel Kamtschatka am Pazifik. Zu Moskau sind es neun Stunden Zeitunterschied.

Ihre Umgebung ist eine traumhaft schöne Natur: Vulkane, Wasserfälle und Geysire. Heute gibt es zwei Gruppen von Korjaken: die einen führen ein Nomadenleben, die anderen sind sesshaft. Die nomadisierenden Korjaken beschäftigen sich mit Rentierzucht und die sesshaften Korjaken mit Fischfang. Hauptabnehmer für die Fischer sind neben einigen russischen Exportfirmen die Japaner. Die Korjaken fischen nicht nur im Meer, sondern auch in den Kamtschatka-Flüsse.

Die Hauptreligion ist der Schamanismus. Die Korjaken haben eine einzigartige musikalische Kultur. Musik ist nicht nur Tradition, sondern auch persönliche Identität. Jeder Mensch hat dort nicht nur einen Namen, sondern ein persönliches Lied als Visitenkarte.

Nenzen

Die Nenzen sind Nomaden. Mehrere Tausend Nenzen leben im Polarkreis in der sibirischen Tundra mit Rentierherden und Jurten. Als Nomaden führen sie ein traditionelles Leben, in althergebrachten Häusern, entsprechender Musik und Musikinstrumenten. Die meisten Kinder wohnen nicht bei ihren Eltern. Sie leben und lernen im Internat in der Stadt. Traditionelle Religion ist der Schamanismus.

Schon Tausend Jahren ist ihr Leben eng mit den Rentierherden verbunden. Die Nenzen fischen und stellen Kleidung aus Rentierhäuten her. Diese Region hat eine spektakuläre Landschaft, ebenso malerischen wie lebensfeindlich ist die Natur. Der Norden Sibiriens hat sehr kurze Sommer und lange, kalte Winter (-40 bis -60 Grad). Hier ist der Winter noch länger und härter als in den anderen Teilen Sibiriens. Diese Region wird durchzogen von dem großen sibirischen Fluss Ob (im Tjumenskaja Gebiet) und dem Fluss Jenissej (im Krasnojarskij Kraj), die sich in den Karasee ergießen.

Obwohl dieses Gebiet bekannt ist als wichtiges Erdölfördergebiet Russlands, sind die meisten Nenzen in den letzten Jahren ärmer geworden als je zuvor.


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