von Biljana Lalova-Pilz, Bulgarien

"Was soll ich jetzt tun? Wen soll ich wählen? Die Sozialisten waren jetzt zum zweiten Mal die führende Partei in der Regierung und jetzt bin ich fest davon überzeugt, dass die Sozialisten und die sozialen Ideen in Bulgarien zwei völlig unterschiedliche Begriffe sind. Von den großen bürgerlichen Parteien bin ich auch sehr enttäuscht. Wie könnte ich Vertrauen haben, wenn sie es nicht einmal schaffen sich über ihre Parlamentskandidaten einig zu werden, und zwei Wochen vor der Wahl immer noch streiten, wer der eigentliche Vorsitzende der größten demokratischen Partei sei?!" In diese Richtung gingen die Überlegungen eines jungen bulgarischen Journalisten, der zum ersten Mal seit seiner Wiederkehr aus Holland, wo er Wirtschaftswissenschaften studiert hat, sich zur Wahlurne begeben wollte.

Zum ersten Mal im Jahr 2009 hat Bulgarien, das seit 2007 EU-Mitglied ist, die Möglichkeit gehabt gleichzeitig mit den anderen 26 Mitgliedsländern seine Europaabgeordneten zu wählen. Und nur zwei Monate später konnte man sich auch für Abgeordnete im nationalen Parlament entscheiden. Eine neue Erfahrung. Ein neues Gefühl der Zugehörigkeit. Ein Neubeginn nicht nur für die Politiker, sondern auch für die Bürger. Auf den ersten Blick sind all diese Neuigkeiten eine gute Möglichkeit, die alten Gewohnheiten zu überwinden oder sich wenigstens mehr Gedanken über die Zukunft zu machen. Die Frage ist, ob diese Möglichkeit genutzt wurde, sowohl von den Politikern, als auch von den Bürgen.

"Na, dann versuch es doch mal mit der Partei des Bürgermeisters von Sofia - GERB", habe ich dem jungen Kollegen versucht zu helfen. "Der Bürgermeister Borissov sagt, dass er und seine Leute ziemlich schnell für Recht und Ordnung in Bulgarien sorgen werden. Er will die Korruption bekämpfen, und zwar wirklich, nicht wie die Koalitionsregierung von Sergei Stanischev. Borissov sagt auch, dass er es schaffen wird die eingefrorenen EU-Gelder wieder nach Bulgarien zu bringen. Er verspricht, dass alle Minister der vorherigen Regierung, die in Korruptionsaffären verwickelt sind, sich vor Gericht verantworten müssen. "Das wäre doch etwas, oder?!", fuhr ich mit der Wahlwerbung fort.

"Jetzt machst du aber Witze, oder?!", sagte der junge Mann. "Du bist schon acht Jahre in Bulgarien und hast die Arbeit von zwei Regierungen beobachtet und du glaubst selbst nicht daran, dass jemand in diesem Land so kategorisch vorgehen kann, besonders wenn er die Regierung anführt." In diesem Punkt hatte er völlig Recht. Die letzten zwei bulgarischen Regierungen, die von Simeon Saxe-Coburggotha (von 2001 bis 2005) und die Koalitionsregierung von Sergei Stanischev (von 2005 bis 2009) haben mehr oder weniger die gleichen Ambitionen gehabt. Die Unterschiede lagen nur in den Ausdrucksmitteln. Bei Simeon, der in den ersten zwei Jahren seiner Regierungszeit ziemliche Schwierigkeiten mit der bulgarischen Sprache hatte, waren die Worte europäisch und gemäßigt. Er sprach von Konsens und Kontinuität und von einer europäischen Mentalität, die den Bulgaren zwar immer noch fehlen würde, aber doch noch kommen wird. Nach 2005 kamen mit Stanischevs Regierung Kinder von ehemaligen KP-Funktionären an die Macht und mit denen auch die bekannte, aber etwas in Vergessenheit geratene, Propagandasprache von der Zeit vor 1990.

Und ja, ich wusste genau, dass dieses Mal die Sprache etwas radikaler ausfallen wird, dass die Vorhaben von Boijko Borissov mehr Bulgaren ansprechen werden, aber gleichzeitig wusste ich auch, dass es für die neue Regierung nach der ersten Enthusiasmuswelle ziemlich schwierig wird, die unpopulären Maßnahmen den Leuten beizubringen. Ich konnte aber zu dem Zeitpunkt und ich kann immer noch nicht sagen, ob die Regierung daran scheitern wird. Vielleicht wird sie auch gar keine Probleme haben, vielleicht wird sich dieses Mal die Mehrheit der Bulgaren fest hinter den Regierungschef stellen und versuchen den Schwierigkeiten zu trotzen und ihre Zukunft mitzugestalten.

"Gibt es denn nicht eine Alternative? Eine politische Organisation, die sich mit Problemen auseinander setzt, die europatauglich sind und sich für die Zukunft einsetzt?", fragte er. "Wie meinst du das? Wirtschaftskrise und Gesundheitsreformen sind doch für alle europäischen Länder wichtige Themen", und nach meinem letzten Wort wusste ich gleich, wie er antworten wird. "Ja freilich sind das wichtige Themen und ich als ehemaliger Student in Holland weiß das ganz genau. Aber in dieser Wahlkampagne gibt es keine richtige Diskussion über diese Fragen. Ich brauche eine Alternative, wo ich selber etwas gestalten kann, weil ich in Holland nicht nur mein Studium gemacht habe, sondern auch etwas für das Leben gelernt habe. Und jetzt möchte ich das in meiner Heimat umsetzen." Punkt für ihn. Aber was konnte ich ihm als Möglichkeit anbieten?

Zwei Tage nach diesem Gespräch saßen wir wieder zusammen und hatten das gleiche Thema, aber dieses Mal wusste ich eine Antwort auf seine Frage. "Es gibt eine neue Grüne Partei in Bulgarien", sagte ich "es sind vorwiegend junge Leute, die wenig oder gar keine politische Erfahrung haben, aber sehr davon überzeugt sind, dass Bulgarien eine neue Denkweise braucht. Und viele von den Mitgliedern dieser Partei sind Leute wie du und ich - haben ihre Ausbildung in der EU oder in Amerika gemacht und sind dann zurück nach Bulgarien gekommen, um etwas zu bewegen. Zum Beispiel die Natur zu erhalten, dadurch dass es bessere Regeln gibt und nicht jeder, der gerade irgendwie an Geld gekommen ist, gleich einen Betonklotz direkt am Strand oder im Wald bauen darf. Oder, dass deine Telefongespräche nicht einfach so ohne weiteres abgehört werden können. Die setzen sich auch dafür ein, dass der Staat sich Gedanken machen muss, dass in Bulgarien mehr alternative Energiequellen entwickelt und genutzt werden müssen", fuhr ich fort.

"Das hört sich gut an", sagte er "aber warum habe ich noch nie eine Wahlwerbung von denen gesehen?" Das war natürlich eine gute Frage, die aber auch eine ganz einfache Antwort hatte. Kein Geld. Die Grünen, haben es gerade mal so geschafft, die staatlich verlangten Gebühren für die Teilnahme an den Europawalen zu sammeln, den einen Prozent haben sie knapp verfehlt und das Geld ist in der Staatskasse geblieben. Für die Nationalwahl mussten sie noch einmal eine Teilnahmegebühr aufbringen und das war es - das Geld war alle. Sie haben kein Recht auf staatliche Subvention, weil sie sich noch nie zuvor zur Wahl gestellt haben. Die Grünen haben auch keine reichen Sponsoren, wie die meisten etablierten Parteien in Bulgarien, weil sie sich dagegen wehren in ungewollte Abhängigkeiten zu geraten. So wird der Verein nur von kleinen Spenden finanziert und von kleinen Krediten, die die Mitglieder privat von einigen Banken bekommen haben.

"Selbst bei den öffentlich-rechtlichen Fernseh- und Radiosendern muss man für Wahlwerbung und die Teilnahme an Diskussionen bezahlen", habe ich gesagt. An der für Bulgarien traditionellen Plakatschlacht können die Grünen auch nicht teilnehmen und das wollen sie auch gar nicht - aus Gründen, die mit ihrem Umweltbewusstsein zu tun haben. Im Endeffekt, können sich die jungen Politiker nur auf die eigene Kreativität verlassen. "Dann werde ich es versuchen", meinte er. "Ich will diesen Leuten und dadurch mir eine Chance geben. Und wenn ihr Einzug im Parlament dieses Mal nicht gelingen sollte, denke ich, dass ich doch für eine bessere Zukunft abstimmen werde."

Bei den Wahlen in Bulgarien im Jahr 2009 hat die bürgerliche Partei GERB von Boijko Borissov die Mehrheit der Stimmen bekommen. Zwei von den drei Parteien der Koalitionsregierung von Sergei Stanischev (BSP und DPS), haben Sitze im nationalen Parlament in Sofia bekommen und sind in die Opposition gegangen. Für die Partei vom Ex-König Simeon II (NDSW), haben weniger als vier Prozent der wahlberechtigten Bulgaren gestimmt und so blieb sie außerhalb des Parlaments. Die bürgerliche "Blaue Koalition" ist auch im Parlament vertreten. Die Grünen haben dieses Mal keine Abgeordneten im Europaparlament und auch nicht in der Volksversammlung in Sofia, für sie aber ist das Jahr 2009 der Beginn ihrer politischen Entwicklung.


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