von Vytenė Stašaitytė, Litauen

In meinem sowjetisch geprägtem Kindeskopf wollte ich Pionier sein: mit roter Pionierkrawatte und rotem Stern in dem jungen Lenin-Freundeskreis den Kommunismus mit aufbauen. Es hat nicht geklappt (Gott, Schicksal, Wende... wie auch immer... danke!). Die Pionierrolle hat mich aber im zweiten Kapitalismus-Jahrzehnt in Litauen eingeholt. Als Online-Journalistin arbeite ich in einem der ersten litauischen Nachrichtenportale, das als eines der erfolgreichsten Medien sogar in der Wirtschaftskrisezeit funktioniert. Viel Erfolg liegt auch im Anfänger-Pionierglück.

Während meiner Aufenthalte in Deutschland werde ich oft gefragt: „Kann man überhaupt mit Online-Journalismus Geld verdienen?“ Und wenn ich antworte, dass das möglich sei, machen die deutschen Kollegen oft große Augen. Dann muss ich dies ausführlich erklären.

Das bedeutet nicht, dass Litauen ein total fortschrittliches Online-Medien-Nutzer-Land ist. Auch wenn das Verlegen von Lichtwellenleitern (Fibre To The Home – FTTH) bei uns am fortgeschrittensten in Europa ist (Angaben von FTTH Council Europe Konferenz in Lissabon, Februar 2010), liegt die Internetnutzung noch etwas unter dem EU-Durchschnitt. Nach Angaben der EU-Statistikbehörde Eurostat nutzten 2009 in Litauen jeden Tag 43 Prozent der Bürger das Internet (Altersgruppe: 16-74). Dieser Wert liegt fünf Prozent unter dem EU-Durchschnitt und ist weit entfernt von fortgeschrittenen Ländern wie Schweden oder Holland, die bei 73 Prozent liegen. Die junge Generation (Altersgruppe: 16-24) verspricht aber viel. Innerhalb dieser Altersgruppe nutzen 82 Prozent das Internet täglich (EU-Durchschnitt liegt bei 73 Prozent).

Online-Medien starteten in Litauen etwa vor zehn Jahren. Da beginnt auch die Geschichte meiner Heimatredaktion www.DELFI.lt. Zu Beginn war es ein kleines Nachrichtenportal, dass sich in zehn Jahren zu einem alle Themen umfassenden Informationskanal entwickelt hat. Ziemlich lange war es fast das einzige Nachrichtenportal, das in den Ausbau menschlicher und technologischer Kapazitäten investiert hat. Andere Portale arbeiteten als zusätzliche Informationskanäle für die bereits existierenden Tageszeitungen oder Zeitschriften. Die Nutzer haben aber bald erkannt, dass DELFI operativer und inhaltsreicher als andere war. Die Unterhaltungsprogramme wie Mailbox, Chat und Kommentare ohne Zensur haben die Online-Mediennutzer zudem verführt.

Die Besucherzahl stieg immer weiter. Derzeit gibt es ca. 360.000 User pro Tag, was für ein Land mit 3,2 Millionen Einwohnern ein gutes Ergebnis ist.

Das haben auch andere Medien bemerkt und die existierenden Portale haben begonnen sich weiter zu entwickeln. In der Wirtschaftsboomzeit wurden zudem neue Nachrichtenportale gegründet, die auch Ambitionen hatten, den Erfolg des Pioniers DELFI zu wiederholen.

Die Printmedien unterstützten ihre Online-Produkte in der Hoffnung, dass das Medium auch selbständig existieren könne und sogar Profit einbringen würde. So entstanden lrytas.lt, diena.lt, vz.lt, 15min.lt, respublika.lt. usw. Auf einmal entstanden auch Online-Portale, die für sich alleine existierten, also keine Printversion im Rücken hatten, wie z.B: alfa.lt, balsas.lt, atn.lt usw. Die Wirtschaftsboomzeit war auch eine Online-Medien-Boomzeit.

Die Weltwirtschaftskrise hat aber auch die Hoffnungen auf Profit bringende Investitionen etwas gestoppt oder sogar vernichtet. Manche Portale, wie z.B. atn.lt wurden bereits nach einem halben Jahr wieder fast aufgelöst, die Kapazitäten wurden so stark wie möglich minimiert.

DELFI aber war von der Krise fast gar nicht betroffen. Medienexperten haben bemerkt, dass dieses Portal von seinem Pionierglück profitierte. Es hatte seine treuen Besucher, die oft auch ihre Homepage dem Nachrichtenportal gewidmet hatten. Die Werbeindustrie blieb auch dem Internet treu, denn sie hatte gemerkt, dass die im Vergleich zu Presse oder Fernsehen viel billigere Werbung einen Nutzen bringt. Als Beispiel gilt eine Werbung von einem Möbelverkäufer, der seine für zwei Wochen gebuchte Werbung nach ein paar Tagen ändern musste, da die in der Anzeige erläuterten Sofas im Angebot bereits nach ein paar Tagen ausverkauft waren. Der Kunde schrieb dies dem Einfluss der Online-Werbung zu.

Das Online-Medium freute sich total, dass es keine Printversion mit abdecken musste, denn in der Weltwirtschaftskrise war die Presse auch von der strengen Steuerreform betroffen. Seit 2009 gibt es keine Ausnahmen für Pressemedien in der Mehrwertsteuerpolitik mehr. Früher musste die Presse nur fünf Prozent Mehrwertsteuer zahlen, seit 2009 gilt für sie auch ein allgemeiner Mehrwertsteuersatz, der bis auf 21 Prozent angehoben wurde. In der Zeit, in der die Anzeigemengen dramatisch zurückgegangen sind und die Steuern drastisch gestiegen sind, konnte nicht jedes Printmedium überleben.

Also, gute Zeiten schlechte Zeiten für litauische Medien. Einzelne Erfolgsgeschichten machen Mut, aber die schrumpfende Presselandschaft und die rückläufigen Abos, gleichgültige, faule oder zu wenig verdienende Leser bringen Pessimismus in das Thema. Dann blickt man neidisch auf die deutsche Presse-Leserkultur.