von Peter Majer, Slowakei

Am Montag sind die Leute meistens faul. Immer noch in ihren Erinnerungen an das vergangene Wochenende versunken. Erst am Nachmittag beginnt man so richtig zu arbeiten. Nicht am 30. August 2010.

Eine Meldung aus dem Hörfunk hat an diesem blauen Montag die Bevölkerung aufgeweckt, wie eine kalte Dusche. Ein Amokläufer habe drei Leute in Bratislava erschossen. Eine Meldung nach der anderen wechselte sich ab. Je später es wurde, desto größer wurde das Chaos in den Medien. Es gebe schon fünf Tote, sechs, sieben, es seien eigentlich zwei Schützen, ein 15-jähriger Junge und ein älterer. Die Leute vor den Bildschirmen und Radios wurden immer unruhiger. Was ist eigentlich passiert? Ist es eigentlich wahr? Es war zu nah um es glauben zu wollen. Solche Taten kannten die Slowaken nur aus den Nachrichten in den USA oder Deutschland, und das war zu weit, um diesen Nachrichten größeres Interesse schenken zu wollen. Aber in Bratislava?

Als sich die Medien später auf sieben Opfer und 13 Verwundete einigten, haben die Leute gefragt: Wie konnte das passieren? Warum gerade bei uns? Warum haben die Medien so unterschiedliche Informationen veröffentlicht?

Der Täter hatte eine Maschinenpistole und zwar in legalem Besitz. Er war sogar in einem Schützenverein. Nach den Ermittlungen haben ihn seine Nachbarn dermaßen genervt, dass er sich entschieden hatte sie zu töten. Die ganze Familie. Die Leute bekamen plötzlich Angst. Müssen wir jetzt schon auf der Straße Angst haben? Können wir uns draußen noch sicher fühlen? Die Medien haben den Bewohnern auch nicht wirklich geholfen. Sich immer ändernde Informationen über die Täter, das Motiv und die Toten haben die Sache nicht leichter gemacht. Am Anfang haben die Medien gesagt, jemand habe auf der Straße zufällig auf die Passanten geschossen. Nach den Umfragen in den Fernsehnachrichten, haben die Leute gesagt, nichts sei wie vorher. Sie hätten Angst ins Geschäft zu gehen, sie hätten Angst ihre Kinder in die Schule zu fahren, die Welt habe sich plötzlich geändert.

Noch nie waren so viele ausländische Journalisten in der Slowakei – bei einem unpolitischem Ereignis. Klar, Bush-Putin-Treffen oder NATO-Gipfel haben wahrscheinlich mehrere Fernsehteams angelockt, solche Nachrichten sind aber eher langweilig. Leider gehörten der Slowakei an diesem Tag die Schlagzeilen bei CNN, BBC, Reuters und der New York Times.

Noch nie haben die slowakischen Rundfunkanstalten, Online-Portale und Zeitungen so reichlich Bildmaterial und Infos von Facebook und von Zuschauer-E-Mails genutzt. Die Informationen waren aber nicht immer richtig, das konnte die Journalisten täuschen.

Die Einschaltquoten der Fernsehsender haben ihren Höhepunkt erreicht, die Artikel im Internet haben alle Click-Rekorde gebrochen. Die Leute wollten informiert sein. Aber sie waren auch wütend – wieso haben die Journalisten so widersprüchlich informiert? Warum haben die Journalisten die Fakten nicht besser überprüft? In der Eile der sich nähernden Deadlines machen die Journalisten ab und zu Fehler, diese waren aber viel sichtbarer. Die Journalisten und die Redaktionen standen jetzt vor Herausforderungen, wahrscheinlich wie noch nie. Sollen wir die Neuigkeiten jetzt gleich veröffentlichen und damit die ersten am Markt sein, oder ein bisschen abwarten, bis wir sie überprüfen können, aber dann vielleicht unseren Vorsprung verlieren? Die Konkurrenz ist doch so groß.

Die Öffentlichkeit wurde an die Radios und Fernsehapparate gelockt und war hungrig nach neuesten Informationen und Updates. Diese haben die meisten ausländischen Medien übernommen – weil es einige Zeit dauerte, bis sie ihre Korrespondenten Vorort schicken konnten. Diese Situation stellte die slowakischen Journalisten vor eine der größten Herausforderungen der letzten Jahre. Und welche Konsequenzen haben die Chefredakteure und Journalisten daraus gezogen? Das kann wahrscheinlich nur die nächste ähnliche Katastrophe zeigen.