von Giorgi Janelidze, Georgien

Wenn man einem Durchschnittsgeorgier vor 23 Jahren nach seinem größten Lebenswunsch gefragt hätte, hätte er vielleicht gleich geantwortet: „FREIHEIT!“

Eigentlich kämpft der Georgier für seine Freiheit seit Jahrhunderten, seit seiner Geburt. Das georgische Volk hat eine große Vergangenheit, Traditionen und Kultur. Es hat auf dem langen Weg seiner Entwicklung einiges erlebt. Wegen seiner geopolitischen Lage stand das Land immer auf der Kreuzung zwischen Asien und Europa. Das Land hat überlebt. Was im Westen als Wende bezeichnet wird, war für Georgien eine bittere Erfahrung. Ich gehöre zu der Generation, deren Pubertät, Studiumszeit, die Freude erwachsen zu werden mit Schutt und Asche bedeckt wurde. Ich war gerade mit der Schule fertig, als in Tiflis der Bürgerkrieg ausbrach. Natürlich war es eine heimliche Einmischung des Dritten, aber die “Hauptdarsteller“ auf beiden Seiten waren Georgier. Beide Seiten haben für ihre Freiheit gekämpft. Aber es war ein Verbrechen. Und wir, die einfachen Sterblichen haben unseren Teil dieser Freiheit an sie geopfert. Und niemand hat damals weder an uns, noch an das Land gedacht. Und da war das Ende wieder am Anfang...mindestens für die nächsten 20 Jahre...

Eigentlich sollte es ein sogenanntes „Baltisches Modell“ geben. Estland, Lettland und Litauen haben es geschafft. Genauso könnte Georgien es auch schaffen, denn am Anfang schien dies die richtige Richtung zu sein: „wenig“ Opfer, mehr Diplomatie, Volksbewegung, Zivile Gesellschaft...Und was haben wir jetzt? Jetzt haben wir 2012. Außer der sogenannten „Fassadendemokratie“, gläsernen Polizeistationen, hunderte von neuen Häusern, die so teuer sind, dass einfache Menschen sie sich nicht leisten können um sie zu kaufen, mehr als 300.000 Flüchtlinge im eigenen Land (seit 1991) und ein paar Reformen im Land haben wir nichts: Menschenrechtsverletzungen, kein unabhängiges Gericht (denn mehr als 95 Prozent der Klagen enden mit einem Sieg der Anklagen), in ungeklärten Umständen verlorene 20 Prozent des Territoriums und was mir persönlich noch ganz nah ans Herzen liegt – keine freie Medien.

In Georgien ist es immer so: jede Medienanstalt gehört einem bestimmten Besitzer. Klar, im Westen ist auch so. Nur gibt es einen Unterschied, ob z.B. die Fernsehanstalt seine Hand im politischen Spiel hat oder nicht. In meinem Land ist es der Fall. Als im Jahr 2007, gleich nach der Auseinandersetzung an der Tifliser Hauptstraße zwischen oppositionellen Demonstranten und der Polizei, die Spezialeinheit den privaten Fernsehkanal „Imedi“ noch während der Live-Sendung im Nachrichtenstudio gestürmt hat, war das kein Witz mehr. Der einzige Grund dafür war die Rettung des Regimes Saakaschwili, denn der Kanal gehörte zwei Monate später in ungeklärter Weise dem verstorbenen Oligarchen Badri Patarkatsischwili, der gegen den damaligen Amtsinhaber den Kampf ansagte. Der Sender wurde vorläufig geschlossen und nach etwa zwei Monaten wieder geöffnet, aber diesmal fiel er in Regierungshände, mit gefälschten Papieren (z.B. Testament des Inhabers) gehörte er dann den regierungstreuen „Burschen“.

Und was ist mit den Journalisten passiert? Ein paar von ihnen haben den bitteren Geschmack der aus Armenien bestellten Gummi-Patronen der Spezialeinheit am eigenen Leib erlebt. Aber kurze Zeit später standen sie diesmal der Regierung als „treue“ Journalisten zur Verfügung: Sie haben die Seiten gewechselt. So schnell geht das! Was die georgischen Medien betrifft, man findet auch phänomenale Fälle solcher Art, wie den eigenen Fernsehsender vom Verteidigungsministerium (TV Sakartvelo z.D. TV Georgien) und einen vom Innenministerium, namens Real TV. Beide Sender sind reine Propagandamaschinen des Saakaschwili-Regimes gewesen. Einer hat außer propagandistischer Kriegsfilme und Hollywood-Blockbuster, unmittelbar kurz vor dem Russisch-Georgischen Blitzkrieg, für das 18-tägige Reservistenprogramm mit einem Hitler-Zitat geworben. Der andere Sender hat das Publikum mit verschiedenen Schnitt- und redaktionellen Tricks das Publikum auf oppositionelle Politiker gehetzt. Beide Sender sind von der Staatskasse finanziert worden und bis zu den Parlamentswahlen 2012 haben sie mehmals für Skandale gesorgt. Seit dem Machtwechsel durch die Wahlen vom 1. Oktober 2012 ist Real TV aufgelöst, zumindest vorläufig.

Die öffentlich-rechtliche Fernsehanstalt namens The Georgian Public Broadcasting wird mit Geld vom Steuerzahler finanziert: es sind fette 32 Millionen Lari (umgerechnet 16 Millionen Euro) jährlich plus große freie Plätze für Werbung. Diese Hauptfernsehanstalt des Landes samt seiner Besetzung steht traditionell hauptsächlich auf der Seite der aktuellen Regierung. Außer Anfang der 90er Jahre, wo sie gegen das ein oder andere Verhalten des ersten freigewählten Präsidenten Zwiad Gamsachurdia auf den Treppen des Senders protestiert haben. Danach kam Eduard Schewardnadse, dann Saakaschwili und die Mitarbeiter blieben jedem treu. Es gab sehr selten kritische Sendungen, z.B. politische Talkshows, wo die Zuneigung des einen oder anderen Moderators zur Regierung sehr merkwürdig erschien. Die TV-Berichte im kritischen Kontext sind im georgischen Fernsehen ein absolutes Tabu unter dem Motto: „Kamerad, du machst entweder mit oder gehst!“ Abgesehen davon, die Mehrheit der Journalisten ist gezwungen in ihrem Geist und Körper, in sich selbst, Zensur auszuüben.

Sie wissen genau „was erlaubt“ ist und was nicht. Und was ist mit dem Begriff „Mitmachen“ gemeint? Man darf über mehrere ungeklärte Mordfälle, große Demonstrationen berichten (z.B. Zahl der Demonstranten fälschen), über die schweren Folgen der von Präsident Saakaschwili angesagten „Null Toleranz zu Kriminalität“ schreiben, über die Umstände vom August-Krieg reden (natürlich gab es kein „schlafendes Tskhinvali“, wie die russischen Medien tagelang berichteten, denn in den selben Bilder zwei Wochen zuvor zeigte man, wie die Einwohner mit Bussen evakuiert worden sind. Aber das offizielle Tiflis sollte in Tskhinvali nicht einmarschieren und auf die längst geplante Provokation des offiziellen Moskau nicht eingehen). Man darf über verschiedene für die Regierung unkomfortable Themen schweigen, schweigen auch dann, wenn im mit EU-Geldern gebauten hochmodernen Gefängnis #8 die Häftlinge geschlagen und mit Besen missbraucht wurden. Man darf an verschiedenen Komplotts, wie z.B. gestellten Spionage-Affären und darüber gedrehten Filme teilnehmen, die Interviews von westlichen Politikern falsch übersetzen, wenn ihre Meinung und die Äußerungen zu propagandistischen Zwecken des Regimes nicht passen und nur von ausschließlich positivem Sinn des neuen georgischen Wiederaufbaus und fortschreitender Demokratie berichten.

Als ein Interview von NATO-Sprecher James Appathurai im georgischen Fernsehen mit einer falschen Übersetzung ausgestrahlt wurde, machte der hochrangige Beamte eine Stellungnahme am nächsten Tag auf seiner Homepage, wo er andeutete, dass er für solche Fälle immer vorbereitet sei und in seiner Tasche immer ein angeschaltetes Diktiergerät läuft. Der ehemalige US-Botschafter John Bass hat all seine offiziellen Videobotschaften immer mit georgischen Untertiteln versehen lassen. Wie peinlich! Und was ist der Preis dafür, wenn ein Journalist da mitmacht? Ruhm, teure Begleitreisen der Regierung, Kredite, Wohnungen, Autos und noch mehr und mehr Luxus.

Es gibt aber auch solche, die die Niederschlagung der großen Demo vom 26. Mai 2011 durch die Spezialeinheit fotografierten und mit ihren emotionalen Fotos auf der ganzen Welt darüber berichteten, dass Georgien (zumindest bis zum 1. Oktober 2012 war es so) überhaupt keine „Leuchte der Demokratie“ ist (wie es US-Präsident George W. Busch bei seiner Reise nach Georgien im Mai 2005 sagte). Preis? In zwei Monaten (und nicht am selben Tag!) wurden in Tiflis vier renommierte Fotografen verhaftet. Anklage – immer das Gleiche: Spionage für...“ein drittes fremdes Land“ (die hörige Justiz traute sich nicht einmal, das sogenannte „dritte Land“ als Russland zu nennen). Nach großen Journalistendemos kamen die Kollegen nach einigen Wochen wieder frei (?)...aber als Spione, obwohl sie das nicht sind.

Und was nun? ...das Volk oder besser gesagt die Hoffnung des Volkes hat die Macht des Regimes von Micheil Saakaschwili besiegt. Die Koalition „Georgische Hoffnung“ des georgischen Milliardärs Bidzina Iwanischwili hat die Wahlen gewonnen. Niemand weiß, wie es weiter geht. Aber hauptsächlich bleibt Georgiens Kurs Richtung NATO und die EU bestehen. Die Demokratie sollte aber die Georgier selbst in sich bilden und damit das Land für den großen Schritt Richtung Westen vorbereiten.

Wenn man einem Durchschnittsgeorgier jetzt nach seinem größten Lebenswunsch fragt, wird er vielleicht gleich antworten: „FREIHEIT mit ein bisschen Vernunft!“


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