von Radovan Kovačević, Bosnien und Herzegowina

Bosnien und Herzegowina. 20 Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung und einem Krieg ist Bosnien-Herzegowina weiterhin geteilt.

Bosnien und Herzegowina ist einzigartig was seine innenpolitische Aufteilung angeht. Es ist ein Land, doch ist es anders strukturiert als üblicherweise. Bosnien ist in zwei Entitäten geteilt – in die Föderation Bosnien und Herzegowina und in die Republika Srpska, und da wäre noch der Distrikt Brčko, der dem Staat direkt unterliegt. Die Föderation ist wiederum in Kantons aufgeteilt, ähnlich den deutschen Bundesländern. Neben den Regierungen und Parlamenten der beiden Entitäten gibt es eine gemeinsame Regierung und ein gemeinsames Parlament (Abgeordnetenhaus mit 42 Sitzen und Kammer der Völker mit 15 Sitzen) für den Gesamtstaat.

Einzigartig für Bosnien und Herzegowina ist auch die Tatsache, dass wir keinen Präsidenten haben, wie jedes anderes Land auch, sondern ein Staatspräsidium mit einem Bosniaken, einem Serben und einem Kroaten, die jeweils ihre Bevölkerungsgruppe repräsentieren. Wieso ist das so? Nun, eine genaue Antwort auf diese Frage wäre ziemlich umfangreich, aber es mag damit zu tun haben, dass es in jedem anderen Land eine Bevölkerungsgruppe lebt und es gibt noch Minderheiten, aber in Bosnien leben nun mal drei große Bevölkerungsgruppen, daher wurde es so geregelt.

Auch wenn Bosnien ein kleines Land ist, hat es eine große und reiche Kultur, diese hatte und hat viel Einfluss auch auf die anderen Länder des Balkans, und manchmal auf die ganze Welt. Die Kultur in Bosnien und Herzegowina ist Teil vieler Bereiche einschließlich der Musik, Literatur, Film, Kunst, Design und anderer Bereiche. Bosnien und Herzegowina ist neben Ungarn das einzige Land der Region, das zwei Nobelpreisträger stellt. Vladimir Prelog hat den Nobelpreis im Bereich Chemie bekommen und Ivo Andric für Literatur. Die Hauptstadt Bosniens war der Gastgeber der 14. Olympischen Winterspiele, die nicht nur die besten Sportler jener Zeit versammelten, sondern es waren auch die Spiele der Kultur, des Friedens und der Freundschaft.

Die Europäische Union soll Menschen einander näherbringen. Auf dem Balkan jedoch entzweit sie vorerst mehr als sie zusammenführt. Denn am 1. Juli ist Kroatien als zweites ex-jugoslawisches Land nach Slowenien der EU beigetreten. Damit verläuft die EU-Außengrenze mitten durch ein Gebiet, das einst miteinander verbunden war. Nicht nur, aber auch, weil diesseits und jenseits der Grenze Kroaten leben. In Bosnien und Herzegowina wohnen über eine halbe Million Menschen, die neben der bosnisch-herzegowinischen auch die kroatische Staatsbürgerschaft haben. Mit dem EU-Beitritt Kroatiens gehören auch sie automatisch zur EU. Ihre Heimat Bosnien und Herzegowina jedoch hat kaum Aussicht auf eine Mitgliedschaft. Der Grund dafür liegt in der Bevölkerungsstruktur dieses Landes, einer der kompliziertesten Europas. Einst galt Bosnien und Herzegowina mit seiner multikulturellen Bevölkerung als das toleranteste Land unter den sechs ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken. Durch den brutalen Krieg der frühen 1990er-Jahre wurde jedoch die vielschichtige Gesellschaft nahezu vollständig zerstört. Der Friedensvertrag von Dayton aus dem Jahr 1995 brachte zwar Frieden, aber auch ein sehr undurchsichtiges Staatssystem, das wohl mit ein Grund für die heutige Lage des Landes ist.

Bosnien und Herzegowina ist der einzige Staat des westlichen Balkans, der noch keinen Antrag auf Mitgliedschaft in der Europäischen Union gestellt hat. Bereits jetzt unterstützt die Europäische Union das Land im Rahmen des Stabilisierungs- und Assoziierungsprozesses bei seiner Annäherung an die europäischen Strukturen.

Bosnien und Herzegowinas EU-Integration stagniert. Das 2008 unterzeichnete Stabilitäts- und Assoziationsabkommen ist bis heute nicht in Kraft getreten. Einzige Ursache ist die immer noch ausstehende Implementierung des Urteils des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) im Fall Sejdic/Finci gegen Bosnien und Herzegowina vom 22. Dezember 2009. Darin werden diskriminierende Bestimmungen gegen Juden, Roma und Vertreter anderer nationaler Minderheiten in der Verfassung festgestellt. Das Land verstößt mit diesen Bestimmungen gegen die europäische Menschenrechtskonvention.

Die Implementierung des Urteils Sejdic-Finci ist in Bosnien und Herzegowina ein großes Problem. Zu unterschiedlich sind die Vorstellungen der Parteien des Landes, welche Verfassungsänderungen durch das Urteil erfordern. Während die serbischen Politiker diese Änderungen auf ein Minimum beschränken wollen, drängen die bosniakischen Parteien auf tiefgreifende Reformen. Die Kroaten vertreten eine andere Haltung: Sie wollen das Urteil dazu nutzen, um ihren politischen Einfluss im Lande zu erhöhen.

Kompromiss? Kompromiss in Bosnien und Herzegowina ist immer noch eine Frage.

Den Beitritt von Bosnien und Herzegowina in die Europäische Union unterstützen 67 Prozent der jungen Menschen, während 33 Prozent dagegen sind. Diejenigen, die möchten, dass Bosnien in die EU eintritt, sind aber der Meinung dass es erst im Jahr 2020 oder 2050 passieren könnte. Gleichzeitig ist Allen klar, dass dies zu langsam ist, aber noch immer wurden die verlangten Reformen der EU nicht implementiert bzw. der Lebensstandard in Bosnien hat sich aufgrund der politischen Streitigkeiten im Land nicht verbessert.

Bosnien und Herzegowina ist das herzförmige Land, das im Herzen von Süd-Ost-Europa liegt. Die Zivilisationen von Ost und West treffen hier zusammen, kämpfen manchmal miteinander, aber öfters stärken und bereichern sie einander durch ihre lange und faszinierende Geschichte. Die Tatsache, dass es in Bosnien und Herzegowina „drei konstitutive Völker und Andere“ leben, sagt uns, dass die Zukunft dieses Landes am meisten von den Kompromissen abhängt. Das einzige Problem ist, dass man in diesem Land einen Kompromiss immer noch als eine Niederlage ansieht.


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