von Vitali Bahdanau, Belarus

Mein Heimatland Weißrussland kann als ein kleines Land ohne Integration in größere wirtschaftliche und politische Bündnisse nicht überleben (laut Experten-Schätzungen ist nur ein Bündnis mit einem Marktumfang von ca. 500 Millionen Menschen heutzutage überlebensfähig) und es ist von großer Bedeutung, wie die Integration in diesen Bündnissen stattfindet: entweder immer engere Integration oder differenzierte Integration.

Im September 2012 veranstaltete die Andrássy Universität Budapest einen interdisziplinären EU-Workshop mit dem Titel „Die Europäische Union zwischen Euro-Krise und Erweiterung: Von der „immer engeren Union“ zu differenzierter Integration?“, wo alternative Konzepte der Europapolitik wie die differenzierte Integration thematisiert wurden.1

Für ein kleines Land bietet die differenzierte Integration den Vorteil, dass man von einem größeren Markt profitieren kann, ohne die Souveränität vollständig aufgeben zu müssen. Insbesondere die Lage meines Landes zwischen den großen Bündnissen wie der Europäischen Union und der Zollunion in den GUS-Staaten (als sogenanntes Borderland) hat zur Folge, dass mein Land lieber eine differenzierte Integration wählt (bzw. wählen sollte). Seit 2012 ist Belarus der Zollunion mit Russland und Kasachstan beigetreten, nicht aber einer Währungsunion mit diesen Ländern. Belarus bleibt aber auch Teil der Ostpartnerschaft mit der EU, und diese Ostpartnerschaft ist ein Integrationsmechanismus der EU.

Demokratisch orientierte Bevölkerungsgruppen in Belarus sehnen sich nach Europa-Integration von Belarus und die aktuelle Krise in der Ukraine zeigt, welche dramatischen Folgen die Europa-Integration haben könnte, wenn Interessen von Russland unberücksichtigt bleiben. Es wäre von Vorteil, die Gründe für die Ukraine-Krise zu analysieren, um ähnliche dramatische Entwicklungen zu vermeiden.

Einer der Hauptfehler der Europa-Integration der Ukraine scheint ein zu hohes Tempo der Integration zu sein. Altkanzler Gerhard Schröder bezeichnete es als Fehler der EU, die Ukraine zu einem Assoziierungsabkommen gedrängt zu haben. Man habe sie vor ein „Entweder-oder“ gestellt, obwohl das Land kulturell gespalten ist. Die Ukraine habe damit nur die Wahl gehabt, sich gegen die Verbindungen zu Russland zu entscheiden. Vernünftiger wäre nach Ansicht von Schröder ein „Sowohl-als-auch“, denn die ehemalige Sowjetrepublik brauche die Partnerschaft mit beiden Seiten.2 Die Partnerschaft mit beiden Seiten bedeutet eine differenzierte Integration: Assoziierung mit der EU in einigen Bereichen (vor allem in politischen) und Assoziierung mit Russland in anderen Bereichen (vor allem in wirtschaftlichen).

Die Erweiterung der Europäischen Union ist ein Prozess, welcher nur dann erfolgreich fortschreitet, wenn er im allseitigen Interesse liegt: im Interesse der EU, eines am Beitritt bzw. an der Assoziierung interessierten Landes und (wie die Ukraine-Krise zeigt) auch im Interesse von Russland.

An einer weiteren Osterweiterung zeigt die EU nur bedingtes Interesse und auch unter potentiellen Beitrittskandidaten sind nicht alle Staaten von der möglichen Mitgliedschaft begeistert. Das fehlende Interesse seitens der EU an einer Vollmitgliedschaft der ehemaligen Soviet-Republiken hat Heather Grabbe, die stellvertretende Direktorin des britischen Zentrums für europäische Reformen, sehr gut begründet: „Weißrussland ist zu autoritär, Moldawien zu arm, die Ukraine zu groß und Russland ruft zu viel Angst in der EU hervor, um ihre mögliche Mitgliedschaft in der nahen Zukunft zu betrachten“.3

Außerdem müssen diejenigen Länder, die der EU beitreten möchten, auch den Kopenhagener Kriterien vollständig entsprechen, die im Juni 1993 in Kopenhagen vom Europäischen Rat verabschiedet wurden. Laut diesen Kriterien muss ein Beitrittsland die demokratischen Prinzipien der Freiheit und der Achtung der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit befolgen. Wirtschaftliches Kriterium ist ein funktionierender wettbewerbsorientierter Markt und die Anerkennung der gemeinsamen EU-Standards. Moldawien, als historischer Teil von Rumänien, ist zwar sehr daran interessiert, der EU beizutreten, weil Rumänien schon in der EU ist, dies entspricht aber dem wirtschaftlichen Kopenhagener Kriterium nicht.

Auch die Ukraine hat immer das Interesse am EU-Beitritt verkündet, die EU hat aber lange Zeit kein besonderes Interesse an der Integration der Ukraine gezeigt. Die EU könnte bei bestimmten Rückständen in der Ukraine ein Auge zudrücken, wie die EU es schon mehrfach getan hat, als andere osteuropäische Länder in die EU aufgenommen wurden, die auch nicht ganz den formalen Anforderungen eines EU-Kandidaten entsprachen. Es gab aber keinen politischen Willen, die Ukraine in die EU aufzunehmen. Als die EU sich doch für die Assoziierung mir der Ukraine entschieden hat, war Russland dagegen, weil Russland keine EU-Perspektive hat.

Ich erinnere mich an die Zeiten, als Russland in den 90er Jahren sehr arm war, und Ministerpräsident Tschernomyrdin gesagt hat, dass Russland gern der EU beitreten möchte. Diese Zeiten sind vorbei, dank teurem Öl fühlt Russland sich gut und hat keine wirtschaftlichen Gründe mehr, der EU beizutreten. Politisch wollte es Russland niemals, weil Russland immer ein selbständiges Subjekt der internationalen Politik war.

Weißrussland einspricht ganz eindeutig nicht dem politischen Kopenhagener Kriterium. Der herrschende Staatspräsident Weißrusslands wird von den westlichen Regierungen nicht als legitim anerkannt und er lehnt sich außen- und wirtschaftspolitisch stark an Russland an. Grundlegende marktwirtschaftliche Reformen und Privatisierungen der staatlich gelenkten Industrie zur Belebung der Ökonomie lassen weiterhin auf sich warten. Aus diesem Grund entspricht das Land auch den wirtschaftlichen EU-Standards nicht. Aber die Lage von Weißrussland als unmittelbarer Nachbar der EU lässt keine andere Wahl als Dialog.

Die weißrussischen Beziehungen zur Europäischen Union sind kompliziert. Seit die Europäische Union 1991 Weißrussland als unabhängigen Staat anerkannt hat, wurden die gegenseitigen Beziehungen ausgebaut. Nach dem Amtsantritt von Aljaksandr Lukaschenka 1994 verschlechterte sich das Verhältnis. Trotz Vorbehalten, die sich auf das Demokratiedefizit Weißrusslands beziehen, wurde 1995 ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen unterzeichnet. Im Mai 2009 wurde Weißrussland in die Östliche Partnerschaft aufgenommen. Für die postsowjetischen Länder, die weit entfernt von einem EU-Beitritt sind, wurde eine Alternative geboten. Im März haben Staats- und Regierungschefs von 27 Ländern in Brüssel das Programm Östliche Partnerschaft genehmigt. Die polnisch-schwedische Initiative umfasst sechs Nachbarländer (Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Georgien, Republik Moldau, Ukraine) und sieht ihre politische und wirtschaftliche Annäherung an die EU vor. Östliche Partner könnten vom Folgenden profitieren: der Einbindung der Wirtschaft in den europäischen Markt (vorausgesetzt, dass das Land der Welthandelsorganisation beitritt), dem Beitritt in ein gemeinsames System der kollektiven Sicherheit und eines gemeinsamen Energienetzes, einer Senkung der Kosten und der schrittweisen Abschaffung von Visa.

Angesichts der sich nach Ansicht der Verantwortungsträger der Europäischen Union zunehmend verschlechternden Lage der Menschenrechte, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit in Weißrussland, verhängte der Rat der Europäischen Union im Juni 2011 ein Waffenembargo und ein Exportverbot für Materialien, die zu interner Repression verwendet werden könnten und erweiterte die Liste der Personen, denen die Einreise verwehrt wird. Auch zeigte sich die EU besorgt über Einschränkungen der Medienfreiheit und die Nichtbeachtung diplomatischer Immunitäten.

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Man muss folgendes feststellen: Seit dem Ausbruch der Wirtschaftskrise in der EU hat Belarus keine Chance auf eine engere Integration in die EU, unabhängig davon, ob die politische Elite meines Landes es will oder nicht, weil die EU zur Zeit nicht fähig ist, die Kosten für die Aufnahme von weiteren Beitrittskandidaten zu tragen.

Angesichts der Ukraine-Krise ist die Spannung zwischen der EU und Russland so gewachsen, dass es viel schwieriger geworden ist, zwischen diesen beiden Machtzentren zu balancieren, wie es früher Präsidenten von Belarus oder der Ukraine getan haben. Die Ukraine hat sich eindeutig für die EU entschieden, Weißrussland wird in dieser Situation zur immer engeren Integration in Russland gezwungen. Angesichts dieser Entwicklung ist es wichtig, die Ostpartnerschaft und andere Integrationsmechanismen der EU aufrechtzuerhalten, um die vollständige Eingliederung von Belarus in die Eurasische Union zu vermeiden.



1 http://www.andrassyuni.eu/print.php?lang=&lap=static&mnuid=aktuelles/nachrichten&nid=podiumsdiskussion-und-interdisziplinrer-workshop-der-daadalumni
2 http://www.zeit.de/politik/ausland/2014-03/ukraine-russland-putin-schroeder
3 http://www.economist.com/node/2628212

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