von Viktória Bellová, Slowakei

Vor drei Monaten habe ich probiert den zeitgenössischen Tanz zu tanzen. Ehrlich gesagt, ich hatte keine wirkliche Ahnung, was genau das bedeutet, ich wusste nur, dass ich mich mehr oder weniger ohne festgelegte Regeln bewegen möchte. Der Titel unseres Projekts war „Mixed Signals, New Language“. Zeitgenössischer Tanz, wie jede Art von zeitgenössischer Kunst, ist irgendwie eine große Unbekannte. Ein gutes Beispiel dafür ist der Auftritt der serbischen Künstlerin Marina Abramović aus dem Jahr 2010 im New Yorker MoMA, berühmt als „alte Mutter der darstellenden Künste“. Das Prinzip dieses Auftritts war, dass die Künstlerin sich auf einen Stuhl setzt und sich ihr gegenüber ein freier Stuhl befindet, auf den sich Gäste setzen können. Jeder hat ein paar Minuten auf dem Stuhl um Augenkontakt mit Abramović zu halten. Der damalige Direktor des Museums hat diesen Vorschlag fast abgelehnt, mit dem Argument, dass in New York niemand Zeit hat, sich einfach in eine Galerie zu setzen. Schließlich waren es über 1.500 Besucher, von denen viele mit Tränen in den Augen weggegangen sind. Die Autorin des Projekts beschrieb es als eine ganz neue, unerwartete Erfahrung. Die eigenen Grenzen zu überwinden und dadurch etwas Neues über sich selbst zu lernen, ist eines der Hauptprinzipien ihrer Kunst.


So wie bei unserem Projekt, bei dem ich getanzt habe, sich meine persönlichen Grenzen verändert haben. Eine Übung war zum Beispiel, dass wir die Augen geschlossen hatten und den Raum um uns herum entdecken sollten. Wenn jemand auf jemand anderen trifft, sollte er oder sie den Körper dieser Person entdecken. Plötzlich fand ich mich in Kontakt mit einer Person, die ich ungefähr einen Monat lang kannte, ich konnte sie oder ihn nicht sehen, aber wir haben die Köpfe aufeinander aufgelegt, streichelten die Haut auf den Unterarmen. Es war eine unglaublich starke Erfahrung, als ob bestimmte Regeln, die wir als Gesellschaft festgelegt haben – wie wir kommunizieren und wie groß die Distanz zueinander sein soll – nicht mehr gelten würden.


Provokation

Wir leben in Zeiten von #MeToo und Sexismus und Feminismus. Es trifft ein Extrem auf ein anderes, und wir hören mehr über Fälle, in denen Diskriminierung auch Männer betrifft. Für jeden bedeutet Feminismus etwas anderes, egal ob Mann oder Frau. Die zeitgenössische Kunst arbeitet auch an diesen Themen und stellt viele Fragen darüber. Das letzte Mal haben mich die Ausstellungen von zwei feministischen Künstlerinnen in Berlin bewegt. Eine von ihnen war Ana Mendietas mit der Serie Siluetas. Ana Mendieta, geboren in Havanna, emigrierte als Zwölfjährige in die USA. Sie behandelt in ihrer Kunst Fragen über Identität und Zugehörigkeit. Aus ihrer Heimat in Kuba herausgerissen, versucht sie sich in und durch die Natur wiederzufinden. Die Hauptidee dieser Ausstellung ist der Dialog zwischen der Natur und dem weiblichen Körper. Eine Frau bedeckt ihre Haut mit Blut. Ihren Körper, in ein altes Grab gelegt, mit Blumen. Ein nackter Körper, in einem Bach liegend, umgeben von Grün. Ana Mendieta war eine attraktive Frau. Die in den Bildern und Montagen gezeigte Dame ist nicht vulgär oder provokativ, ihre Nacktheit ist ganz natürlich. In der Kunst war das nicht immer der Fall. Im 19. Jahrhundert hat die Nacktheit einer Frau auf dem Bild des französischen Malers Manet einen Skandal in den Salons hervorgerufen. Das Objekt Olympia, die rothaarige Dame mit der unnatürlich weißen Haut, die verächtlich auf ihren Beobachter schaut, deckt ihre intimen Körperteile ab. Damals haben die Kritiker gefragt, ob sie eine Prostituierte sei. Eine ordinäre Frau? Eine Gespielin? Mendeta ist bei der Nacktheit ganz anders. Sie versucht nicht, ihr Geschlecht zu verdecken. Die Künstlerin verwandelte ihren eigenen Körper vom Objekt zum Teil ihres kreativen Prozesses.


Die andere, vermeintlich bekannteste Künstlerin in der feministischen Welt ist Louise Bourgeois. Ihre berühmte Spinnenstatue ist um die Welt geflogen, um die Kraft einer Frau als Mutter, die beschützt, zu zeigen. Für Bourgeois war die Kindheit nicht leicht, ihr Vater hat ihre Mutter betrogen und sie musste oft ihre Streitigkeiten mit anhören. In der Kunst Bourgeois’ wiederholen sich oft die Formen der weiblichen und männlichen Fortpflanzungsorgane.


Die Künstlerin fragt deshalb in ihren Arbeiten oft nach der Rolle einer Frau. Ist es wirklich so, dass sie eine Mutter werden soll? Ist ihr runder Bauch in der Schwangerschaft ihr Schicksal? Immer mehr werden die sexuellen Themen tabuisiert und gleichzeitig wollen wir nicht offen über Probleme in Beziehungen sprechen. Bourgeois zeigt dies als einen Spiegel, der unangenehm ist. Keine dieser Künstlerinnen sah Feminismus als eine auserwählte Gruppe bewusster Frauen. Beide versuchen nur, die Natur des menschlichen Körpers zu zeigen, die Existenz von Problemen und Unterschieden zwischen den Geschlechtern, die weder glorifiziert noch ausgelöscht, sondern wahrgenommen werden sollten. Ich denke, es ist das Wesen der zeitgenössischen Kunst experimentell zu sein. Das Löschen der Grenzen, zu sagen oder auszudrücken, was nicht in Ordnung ist, ist in dieser Epoche als Hauptziel gesetzt. Es ist wie eine Endlosschleife, in der wir festgefahren sind. Richte Grenzen ein, damit wir sie niederreißen und neue bauen können.