Mehr als 10 Jahre nach dem EU-Beitritt von Bulgarien und Rumänien wurde schon mehrmals eine Bilanz gezogen - in Sofia, Bukarest, Brüssel etc. - ob das eine frühzeitige oder überhaupt eine richtige Entscheidung war. Ich will keine Bilanz ziehen, sondern eine kurze Geschichte erzählen.
Im Frühling 2017 wurde der Preis der Bayerischen Repräsentanz in Bulgarien verliehen, wobei das schon zu einer mehr als 10-jährigen Tradition geworden ist. Das Ziel der Initiative ist hauptsächlich, die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Bulgarien und dem Freistaat Bayern zu fördern. Einer der Preisträger, der Geschäftsführer eines deutschen Unternehmens, hat natürlich eine Rede gehalten und ein paar Sätze davon waren schon auffällig. Er habe sich auf die niedrigen Arbeitskosten in Bulgarien sehr gefreut und hoffe, dass sie so bleiben. Die Flat-Tax von 10% sei auch etwas Wunderschönes und die EU-Mitgliedschaft sei natürlich die Grundlage, die das erfolgreiche Geschäft gewährleistet.
Gleichzeitig aber macht sich der Geschäftsführer Sorgen eben darum, dass die Firma mit einem Defizit an qualifizierten Arbeitskräften in Bulgarien umgehen muss und keine langfristige Verbesserung der Situation erwartet.
Diese Prognose aber wird niemanden überraschen, weil die hochqualifizierten Bulgaren schon lange begonnen haben auszuwandern und es weiterhin tun. Und natürlich werden die Arbeitskosten steigen, wenn die Nachfrage von Arbeitskraft größer wird und das Angebot niedriger. Das weiß der Geschäftsführer ganz bestimmt.
Diese Geschichte erinnert sofort an die osteuropäische Reise des neuen französischen Präsidenten Emmanuel Macron im Sommer. Das Staatsoberhaupt der zweitgrößten Wirtschaft Europas will gegen das sogenannte Sozialdumping kämpfen, indem er den Zuzug billiger Arbeitskräfte aus Osteuropa beschränkt. Mittlerweile hat er die Unterstützung der deutschen Kanzlerin Angela Merkel.
In beiden Fällen liegt das Problem darin, dass der deutsche Geschäftsführer sowie der neue französische Präsident offenbar zufrieden wären, wenn die Lage in Bulgarien bzw. in der EU genauso bleibt, wie sie in den letzten ungefähr 10 Jahren war. Zwar kämpft Macron für eine Veränderung der Regelungen, die dieses Sozialdumping erlauben, aber das ist gegen die Folgen des Problems gerichtet und nicht gegen die Ursache. Sogar wenn diese EU-Regelungen verändert würden, würden die Bulgaren, Rumänen und Polen nicht auf einmal aufhören, auszuwandern. Die Firmen und Arbeitnehmer auf EU-Ebene werden sicherlich einen Weg finden, ihre gemeinsamen Interessen durchzusetzen, d.h. niedrigere Arbeitskosten für die Unternehmen und relativ attraktive Vergütung für die Mitarbeiter.
Dazu hat die freie Bewegung von Kapital, Produkten und Leuten geführt und das ist völlig in Ordnung. Die Technologien haben natürlich auch dazu beigetragen. Gerade weil die EU sich im Laufe der Zeit verändert hat, ist sie eine Erfolgsgeschichte, sogar die Erfolgsgeschichte des 20. Jahrhunderts, wie manche sagen würden.
Am Anfang des 21. Jahrhunderts aber steht die EU vor neuen Herausforderungen, die ganz anders sind als diejenigen aus den 50er Jahren. Deswegen wird der Ansatz vom vergangenen Jahrhundert die heutigen Probleme nicht lösen. Ja, ein Verbot von Uber zum Beispiel wird die Jobs der Taxifahrer kurzfristig sichern aber letztendlich ist das tatsächlich eine Bremse für die Entwicklung.
Zurück zum Träger des Preises der Bayerischen Repräsentanz. Klar profitiert nicht nur das Unternehmen, sondern auch die bulgarische Wirtschaft davon, dass diese Firma sich entschieden hat, ein Geschäft in Bulgarien zu haben und es hoffentlich weiter zu entwickeln. Zur Entwicklung aber gehört auch die Bereitschaft zur Veränderung, die mit allen Risiken und Gelegenheiten zusammenkommt. Ohne sie wäre das einfach Rosinenpickerei.
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