„Die Wende in Bulgarien hat nicht stattgefunden“. Das urteilte kürzlich der Politikwissenschaftler und Soziologe Wladimir Schopow vom Sophia Analytica kurz vor dem 20. Jahrestag zur Absetzung des kommunistischen Diktators Todor Schiwkow nach 35 Jahren am 10. November 1989. Die kommunistische Partei, die sich über Nacht auf den Namen Bulgarische Sozialistische Partei umtaufte, schaffte es durch eine Großzahl ihrer Genossen und Funktionäre ihre Macht weiter zu behalten.
Dies geschah einerseits durch die Umwandlung ihrer vorrangig politischen Position in Bezug auf ihre wirtschaftliche Überlegenheit. Andererseits wurde dies durch die Bewahrung ganzer Dynastien von Parteimitgliedern, die das politische Leben weiter stark beeinflussen sowie durch verstecktes Drahtziehen durch ehemalige Strukturen der berühmt berüchtigten bulgarischen Stasibehörde umgesetzt. Ihre Mitglieder sichteten mehr als 15 Jahre die Stasiakten und benutzten ihre Informationen längere Zeit für Erpressungen und zur Steuerung gesellschaftlicher Prozesse.
Laut Schopow konnten sich im Lande kaum Zellen bilden, von denen das zukünftige Potenzial der Veränderung entstehen konnte. Universitäten und Wirtschaft blieben unter starkem Einfluss von früheren Funktionären und Anhängern der Kommunisten. Außerdem blieb die Justiz fast völlig von der Erneuerung der Wendezeit verschont und stellt immer noch einen in sich geschlossenen Interessenkreis dar.
Die alten Beziehungen und Seilschaften stehen unversteckt in der Öffentlichkeit. So war in den letzten acht Jahren Rektor der ältesten, größten und angesehensten Universität des Landes, der Sofioter Universität Hl. Kliment von Ochrid, der Slavistikprofessor und Schriftsteller Bojan Bioltschew aus der Familie früherer berühmt berüchtigter Volksgerichtsrichter. Das Volksgericht nach 1944 wird mit mehreren Tausend Hinrichtungen und Repressionen gegen Andersdenkende in Verbindung gebracht. Bioltschew wurde als Rektor von dem Historiker Iwan Ilschew beerbt, dessen schon verstorbener Vater Iltscho Dimitrow zweimal vor 1989 und einmal von 1995 bis 1997 bei den Sozialisten Bildungsminister war. Die Tochter des letzten kommunistischen Verteidigungsministers Dobri Dschurow Axinia leitet seit Jahren ein nationales Institut für Slavistik.
Noch drastischer sehen die alten Beziehungen und Seilschaften in Politik und Gesellschaft aus. Die Enkelin des Diktators Todor Schiwkow, Ewgenia (Eugenia) Schiwkowa, bekleidete zwei Legislaturperioden das Amt einer Abgeordneten (2001-2009) für die Sozialistische Partei BSP. Gleichzeitig war sie erfolgreich als Modedesignerin. Sie gewann ständig die öffentlichen Ausschreibungen zum Einkleiden der bulgarischen Sportler und offizieller Delegationen bei den Olympischen Spielen während der Zeit als ihr Stiefvater Iwan Slawkow Vorsitzender des Landesolympiakomitees (1982-2004) war. Slawkow konnte abgesetzt werden, als englische Journalisten der BBC ihn mit versteckter Kamera aufnahmen, wie er Stimmenkauf für die Wahl der Olympische Spiele betrieb. Vorher konnte er aber noch eine Anklage gegen die britischen Journalisten in Bulgarien anstrengen.
Im Frühling 2009 wurde bekannt, dass Ewgenia Schiwkowa auch die Togas der bulgarischen Staatsanwälte und Richter kreieren und liefern wird. Wie die Zeitung Sega bemerkte, geschah dies nach demselben Muster wie bei der öffentliche Ausschreibung für die Einkleidung der bulgarischen Sportler für die olympische Spiele 2004 – alle anderen Kandidaten wurden aus technischen Gründen vom Wettbewerb ausgeschlossen.
Der jüngste Spross der Schiwkowsfamilie, der Enkel des Diktators und Sohn von Iwan Slawkow, Todor Slawkow, sorgte für Aufsehen, als er in der zweiten Folge der bulgarischen VIP Brother TV-Produktion im Klartext „seinen Staat“ als Kronprinz zurückverlangte.
Die Enkelin des bulgarischen kommunistischen Premiers Grischa Filipow (1981-1986) Ljudmila war Pressesprecherin des angeblich einzigen offiziellen bulgarischen Milliardärs Wassil Boschkow. Seit Jahren versucht sie sich aber mit ihrem schon dritten Roman als junge Schriftstellerin.
Ein anderer schließt die Reihe der erfolgreichen Enkel: Der 47jährige Jurist Boris Weltschew wurde 2006 der jüngste Oberstaatsanwalt Bulgariens. Er ist Sohn eines hochrangigen kommunistischen Diplomaten und Enkel des gleichnamigen Mitglieds des Zentralkomitees der Bulgarischen Kommunistischen Partei.
Ganz und gar nicht erfolgreich ist ein anderer Großparteienenkelsohn: Georgi Bokow. Er konnte keine Karriere in der Politik machen, dafür aber einen Namen als begabter Autodieb. Sein Vater Filip, der zuletzt Chef des Kabinetts des letzten sozialistischen Premiers Sergej Stanischew und Mitarbeiter des sozialistischen Präsidenten Georgi Parwanow war, hat es immer wieder geschafft das Söhnchen vor einer Verurteilung zu schützen.
Die Tante, die Schwester von Filip Bikow, Irina Bokowa konnte besser punkten – sie war nicht nur Außenministerin der bankrottgegangenen sozialistischen Regierung von Schan Widenow im Jahr 1997, sondern schaffte es kürzlich bis in die Spitze der UNESCO. Parteigenossen und -freunde der letzten Regierung wie Premier Sergej Stanischew und Außenminister Iwajlo Kalfin (beide Quote der Sozialisten) stellten sogar Staatsgelder für ihre Wahlkampagne zur Verfügung.
Der Ex-Premier Stanischew kann sich heute als der einzige sozialistische Staatschef seit 1989 feiern lassen, der seine ganze Amtszeit hinter sich hat und nicht durch Straßenunruhen gehen musste. Im 2005 betrat er das Amt ohne einen einzigen Tag Arbeitserfahrung, aber mit den Titeln Parteichef der Sozialisten und Sohn eines früheren Sekretärs des Zentralkomitees der kommunistischen Partei.
Dabei wurde er auch von den Parlamentschefs und altbewerten Parteisohn Georgi Pirinski unterstützt, dessen Vater Georgi Pirinski Senior von der USA wegen Verdacht auf Spionage ausgewiesen wurde und dessen Schwiegervater General Ilija Kaschew langjähriger Leiter der Leibgarde von Todor Schiwkow war.
In den Beziehungen der alten Genossen werden auch Schwiegertöchter unterstützt. Beide Schwiegertöchter des früheren kommunistischen Landwirtschaftsministers Iwan Prmow machten Karriere während ihre Männer im Hintergrund blieben. Uljana Prmowa leitete zwei Legislaturperioden das Nationalfernsehen und Meglena Kunewa, die ihren Namen nicht änderte, schaffte es bis zur EU-Kommissarin.
Die kommunistischen KZs sind schon vergessen, sagte bei den letzten großen Forum der Sozialisten, nach der bitteren Wahlniederlage im Juni, eine der schärfsten innerparteilichen Kritiker, Ex-Staatsanwältin und frühere Abgeordnete Tatjana Dontschewa. Die Partei schulde immer noch eine Erklärung dafür, wieso getreue Leute und Funktionäre über Nacht steinreich geworden sind, wer „Parteikoffer voller Geld“ zum Anfang der Wende ausgeteilt habe. Ihre Kritik bleibt nach wie vor wirkungslos.
20 Jahre nach der Wende im ehemaligen Ostblock startet Bulgarien anscheinend den Prozess zum dritten Mal nach 1989 und nachdem 1997 der Staat wieder unter der Führung der Sozialisten im Bankrott endete. Die neue Regierung ist überladen voller Erwartungen. November ist wieder wie damals grau und das Land mitten in einer Wirtschaftskrise. Ob der dritte Anlauf Erfolg haben wird, bleibt abzuwarten.
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