Beinahe 90 Prozent der slowakischen Bevölkerung lebt in eigenen Wohnungen oder Häusern. Die Leute bei uns denken, dass es ein Zeichen der reichen Gesellschaft ist, in den eigenen vier Wänden zu wohnen. Doch diese Vorstellung ist falsch.
Schon ein einfacher Vergleich mit anderen europäischen Ländern zeigt, dass es in Wahrheit umgekehrt ist. Die meisten Bewohner in Rumänien leben unter ihrem eigenen Dach – etwa 96 Prozent, in der Slowakei und Litauen sind es 89 und in Ungarn 87 Prozent. Es besteht dabei kein Zweifel, dass Rumänien zu den ärmsten Staaten in der EU zählt.
In den hoch entwickelten Ländern leben die meisten Einwohner dagegen in einer vermieteten Unterkunft. In Dänemark und Frankreich leben nur 58 Prozent der Bevölkerung in eigenen Immobilien, in den Niederlanden 56, in Österreich 52 und in Deutschland rund 46 Prozent. In Berlin, soviel ich weiß, zahlen sogar 80 Prozent der Einwohner Miete für die Unterkunft.
Es ist also klar, dass der Zusammenhang zwischen Reichtum und Wohnen gar nicht so ist, wie man es sich in der Slowakei vorstellt. Warum leben wir dann aber meistens in eigenen Wohnungen? Sind wir so reich? Verdienen wir so viel, dass es uns kein Problem macht, jeden Monat Raten für einen großen Kredit für die gekaufte Wohnung zu zahlen?
Nein, die Situation ist leider anders. Die Immobilien in der Slowakei sind sehr teuer, vor allem in den großen Städten, und ein Kredit für eine Wohnung oder ein Haus aufzunehmen bedeutet für die meisten, besonders für junge Leute, eine riesige Belastung. Solch eine Abzahlung kann bis zur Rente dauern. Soll ich über 30 Jahre monatlich mehr als 300 Euro einer Bank zahlen und dann mich als Rentner freuen, dass eine kleine Einzimmerwohnung endlich meine ist?
Der Grund, warum man in der Slowakei größtenteils in einer eigenen Wohnung lebt, ist, dass man eigentlich keine andere Wahl hat. Es gibt nämlich nur sehr wenige Wohnungen zu vermieten. Die Nachfrage in diesem Bereich ist größer als das Angebot. Das führt dazu, dass die Wohnungen, die zur Verfügung stehen, zu teuer sind.
Als ich zum Beispiel vor drei Jahren im Stadtteil Wedding in Berlin wohnte, zahlte ich eine Warmmiete von 380 Euro pro Monat für eine möblierte Einzimmerwohnung mit 45 Quadratmetern. Jetzt habe ich wiederum gehört, dass solch eine Unterkunft in Leipzig ungefähr 250 bis 350 Euro kostet – es hängt davon, wo sie liegt. Die Mieten in München, Hamburg, Frankfurt am Main oder Stuttgart sind, natürlich, sehr viel höher.
In Bratislava, der Hauptstadt der Slowakei, woher ich komme, kostet eine Garçonnière bzw. eine Einzimmerwohnung meistens 330 bis 400 Euro. Also so viel wie im Osten Deutschlands, wo das Durchschnittsgehalt viel höher ist als bei uns. Wie ist es möglich?
Es gibt mehrere Gründe. Die Situation ist vor allem so schlecht, weil wir eigentlich keine neuen Mietwohnungen bauen. In Petržalka, einer Plattenbausiedlung in Bratislava, wo heutzutage ungefähr 130.000 Leute leben, wurden die letzten Mietwohnungen vor 20 Jahren erbaut. In der Gegenwart hat dieser Stadtteil nur etwa 800 Wohnungen zur Verfügung, die jedoch nur für Sozialfälle dienen. Andere Menschen haben keine Chance so eine Unterkunft zu kriegen.
Sehr ähnlich ist es auch in anderen Städten oder Gemeinden. Selbst wenn sie einige Mietunterkünfte anbieten oder sogar ein paar neue Wohnhäuser bauen, sind sie für arme Leute bestimmt, alleinerziehende Frauen oder Familien mit vielen Kindern. Auch der Staat unterstützt finanziell nur den Bau der Sozialwohnungen.
Die Wurzeln dieses Problems reichen tief in die Vergangenheit hinein. Nach der Wende 1989 lebten nämlich hunderttausende Slowaken in den vermieteten Staatswohnungen, die entweder alt waren oder noch in der Zeit des Sozialismus erbaut wurden. Nach dem Fall des Regimes hatte die Regierung dann kein Geld, um diese Wohnungen sanieren zu lassen. Für die Reparatur all dieser Immobilien hätte sie rund 400 Milliarden Kronen gebraucht, was zwei jährlichen Staatshaushalten entsprochen hätte. So etwas konnte sich damals der Staat nicht leisten.
Die Damalige Regierung hat allerdings eine geschickte Lösung gefunden. Statt die Kosten für die notwendige Sanierung der Mietwohnungen, die überwiegend dem Staat gehört haben, zu decken, hat sie die Last auf die Schultern der Bevölkerung verteilt. Leute, die in den Wohnungen lebten, konnten sie vom Staat sehr billig kaufen. So waren alle zufrieden, ehemalige Mieter, dass sie so leicht eine eigene Unterkunft gewonnen haben, und die Regierung, dass sie von einer schweren Belastung befreit wurde.
Auf den Bau von neuen Mietwohnungen hat der Staat danach ganz verzichtet. Das Wohnen einer Generation war gelöst, aber was geschieht mit den folgenden? So ist es dazu gekommen, dass wir in der Slowakei nun manchmal so leben wie unsere Vorväter vor hundert Jahren – auch zwei oder drei Generationen unter einem Dach.
Die Konsequenzen sind weiträumig. Die Geburtenzahl sinkt seit langen Jahren und die Experten warnen, dass dies in Zukunft große Probleme in der Wirtschaft auslöst, wenn es viel mehr alte Leute als junge geben wird. Unser Pensionssystem könnte zu Grunde gehen.
Für die niedrige Natalität, die wir heute haben, gibt es natürlich eine Menge Gründe. Leute verschieben die Zeit, wenn sie eine Familie gründen, wollen zuerst etwas erleben, reisen, Geld sparen, eine Karriere machen, Karriere machen, Erfolg haben… Damit kämpfen viele Länder europaweit. Doch die Slowakei tut fast gar nichts, um diesen Trend zu beeinflussen und die Lage der jungen Familien zu verbessern.
Ich denke, dass die Wohnungsfrage sehr eng damit zusammenhängt. Einer der Gründe, warum niemand schnell in das Familienleben startet, ist, dass man keine geeignete Unterkunft findet. Die Miete ist hoch, ein Kredit bedeutet Schulden… Was sollen junge Leute tun, wenn sie aus dem Elternnest fliegen möchten, aber kein Geld für ihre eigene Wohnung haben?
Der Unterschied zwischen der Slowakei und westlichen Ländern besteht auch darin, dass die Mietwohnungen nicht nur der Staat anbietet, sondern auch die Gemeinde oder private Firmen. Das ist nicht unser Fall. Die Investoren in der Slowakei sind zwar sehr „fleißig“ und jedes Jahr bauen sie hunderte von neuen Wohnungen, doch nicht zur Miete. Diese sind ausschließlich zum Verkauf.
Da die Slowaken jetzt wegen der Krise wenig Geld haben, um so teure Wohnungen zu kaufen, entstand eine komische Situation. Viele Leute können keine Unterkunft finden, es gibt fast keine günstigen Mietwohnungen, aber mehr Wohnungen zum Verkauf als wir brauchen.
Allein in Bratislava stehen heute etwa 6.000 brandneue Wohnungen zur Verfügung. Doch sie sind leer, manche warten bereits seit ein paar Jahren einsam auf Bewohner. Die Investoren können sie nicht verkaufen, weil sie viel zu teuer sind. Damit diese Hochhäuser nicht so leer und dunkel aussehen und die möglichen Käufer nicht abschrecken, bezahlen die Investoren sogar Studenten, deren Aufgabe es ist, abends in den Wohnungen das Licht anzumachen.
Auf jeden Fall wollen die Bau- und Immobiliengesellschaften diese leeren Wohnungen nicht billiger machen. Oder einfach zur Vermietung freigeben. Alles, was sie wollen, ist nämlich, die aufgewandten Investitionen zurückzubekommen. Und zwar möglichst bald. Deswegen warten sie, bis die Krise vergeht und Leute wieder neue Wohnungen kaufen. Wenn sie stattdessen die Wohnungen den Vermietern anbieten würden, kämen ihre Investitionen erst in 20 oder 30 Jahren zurück.
Bleibt also die Slowakei ohne ausreichende Möglichkeiten für ein gutes und billigeres Wohnen? Eins ist klar. Der Staat hat kein Geld, darin zu investieren. Die einzige Hoffnung ist, dass private Firmen ihre Meinung ändern und auch Mietswohnungen bauen. Sonst können wir von einem billigeren Wohnen nur träumen.
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