Nationale Klischees, Vorurteile, Vertreibungen, Kaczynskis Kartoffel-Affäre, polnische Wirtschaft und Nord-Stream einerseits. Und andererseits erfolgreiche wirtschaftliche Mitarbeit der Firmen und Konzerne, Weimarer Dreieck, in die Millionen gehende Emigrantenquote. In der Mitte dieses Tumults steht das Portal, das diese und andere Ereignisse und Phänomene um Polen und Deutschland beschreibt und thematisiert: niemcy-online.pl.
Zuerst einige Fakten. Das Portal wurde 2009 gegründet. Bis heute haben 76 Autoren über 600 Texte darin publiziert, die laut Online-Statistik von rund 470.000 Internetnutzern gelesen wurden. Zu den Autoren der Beiträge und Kommentare zählen wissenschaftliche Mitarbeiter des Willi-Brandt-Zentrums und polnischen Universitäten wie auch Praktikanten und Korrespondenten aus anderen polnischen und deutschen Städten.
Leser und Nutzer, die sich vor allem um die polnischen Großstädte wie Warschau, Posen, Wroclaw, Krakau und Lodz gruppieren, kommen auch aus kleineren Ortschaften von bis zu 500 Einwohnern. Niemcy-online.pl wird auch gerne von Interessierten aus Deutschland, Frankreich, Italien, den USA und sogar Australien und der Mongolei besucht.
Das Portal wird zu 100 Prozent vom Willi-Brandt-Zentrum für Deutschland- und Europastudien der Universität Wroclaw finanziert. Trotz vieler Anfragen wird auf der Internetseite weder Werbung noch Product-Placement präsentiert.
Ein Anruf. Zu Beginn eine leise, ruhige Frauenstimme. Ein Wort ergibt das andere, bis das Gespräch in einem Ausbruch endet: „Ich rufe hier aus einer polnischen, nicht polnischsprachigen Zeitung an! Verstehen Sie: pol-ni-schen! Wer bezahlt euch für diese Deutschland-Werbung??? Vermutlich Merkel! Welchen Judaslohn muss man zahlen, um euch zu kaufen? Ihr Heuchler! Unsere arme unterdrückte Heimat Polen wird vernichtet, und ihr schreibt nur über diese Hitler-Söhne! Schämt euch! Ich werde euch alle in einem Artikel in meiner Zeitung entlarven!“. Dieser und andere ähnliche Artikel erschienen auch tatsächlich. Während der drei Jahre, in denen das Portal bisher gewirkt hat, ist die Redaktion mit einigen sehr negativen Reaktionen und Presseartikeln konfrontiert worden. Diese beinhalteten auch Aussagen und Behauptungen, die sehr verletzend waren, wobei die Versuche, diese zu dementieren, sich oft als verlorene Mühe erwiesen haben.
Während eines vor kurzem durchgeführten Interviews unserer Redaktion mit einer Journalistin einer überregionalen polnischen Zeitung, welche bekanntermaßen rechtsorientierte Ansichten vertritt, ist sehr deutlich geworden, was für eine große Kluft weiterhin besteht. Schon nach einigen Minuten des Gesprächs war es der Journalistin leider nicht möglich, eine professionelle, objektive Haltung beizubehalten, ihre sehr voreingenommene und nahezu Deutschland-fobische Weltanschauung trat deutlich hervor.
Die Vielschichtigkeit und Komplexität der deutsch-polnischen Beziehungen wird in den äußerst gegensätzlichen Reaktionen der Leser und auch anderer Medien auf die Beiträge sichtbar.
Aber. Niemcy-online.pl bekommt täglich Rückmeldungen, Mails und sogar traditionelle Briefe von Lesern...
Monika aus Gorzow schreibt: „Hallo, bin grade in der letzten Klasse der Berufsschule. Habe euren Text über die Praktika und Ausbildungen in Deutschland gelesen. Es gibt zu Hause sieben von uns Kindern und ein Praktikum in Deutschland wäre für mich eine große Chance. Ich könnte einen Beruf lernen, meine Familie entlasten oder sogar helfen. Könnte ich bitte von euch mehr Einzelheiten erfahren, an wen soll ich mich wenden, wo bewerben, wie kontaktiert man den deutschen Gewerkschaftsbund?“.
Zu diesem Thema sind insgesamt bei uns weit über 320 Nachfragen eingegangen mit der Bitte um weitere Details und Hilfe bei den Bewerbungen und der Kontaktherstellung mit der deutschen Seite. Solche Mails und Kommentare, welche die Redaktion unter den Beiträgen finden kann, zeigen den Sinn der journalistischen Arbeit, den Bedarf der offensichtlich für Initiativen wie niemcy-online.pl besteht und die Lücke, die das Portal in dem Informations- und Kommunikationsfluss zwischen Polen und Deutschland jeden Tag zu füllen versucht.
Die noch bestehenden Schwierigkeiten und Berührungsängste sind klar ersichtlich; niemcy-online.pl hat sich vielleicht gerade deshalb zur Aufgabe gemacht, gewissenhaft und objektiv über das aktuelle Geschehen in Deutschland zu berichten. Denn viele Polen signalisieren Interesse, sich über das Nachbarland zu informieren – die Besucherzahlen auf niemcy-online zeigen das deutlich.
Zum Zeitpunkt der Entstehung des Portals sind wir davon ausgegangen, dass einige Hunderttausende Polen in Deutschland leben und arbeiten und deren Familien weiterhin auf der polnischen Seite der Oder geblieben sind. Unter anderem waren diese Familien der Adressat unserer Berichte und Beiträge, um ihnen die Möglichkeit zu bieten, sich über das aktuelle Geschehen in dem Land, in dem ihre Verwandten leben, zu informieren.
Die Praxis zeigte jedoch, dass die von uns angebotenen Inhalte auch sehr nützlich für die in Deutschland lebenden Polen sind, die auf Grund der noch schwächeren Deutsch-Kenntnisse die Möglichkeit wahrnehmen, die für sie wichtigen aktuellen Informationen über Deutschland auf Polnisch lesen zu können. Dies ermöglicht ihnen bewusster an dem politischen und kulturellen Geschehen um sie herum, an ihrem neuen Wohnort teilzunehmen und dadurch auch schneller gemeinsame Themen mit den neuen Arbeitskollegen oder Nachbarn zu finden.
Von Anfang an stand es für das Redaktions-Team fest, dass die Leser-Zielgruppe aus interessierten Laien und Vertretern verschiedener Berufsgruppen besteht und nicht aus Deutschlandforschern. Folglich ist und war es das Ziel von niemcy-online, auch die entsprechende Sprache und einen passenden Stil zu finden, was nicht immer leicht ist. Vor allem einige von unseren Mitarbeitern, die aus akademischen Kreisen stammen, haben dies oft als eine Herausforderung erlebt. Daher heißt es oft in den Gesprächen mit den Autoren: „Schreiben Sie bitte so, als ob Sie mit ihren Enkelkindern sprechen würden!“.
Daraus ergeben sich die Zugänglichkeit und eine gewisse Leichtigkeit, die das Portal kennzeichnen sollen.
In den Nachrichten auf niemcy-online spielen politische Informationen nicht mehr die Hauptrolle. Die Leser interessieren sich vor allem für wirtschaftliche und gesellschaftliche Themen, der Großteil der Beiträge besteht aus breit gefächerten Berichten, welche die Situation in Polen und Deutschland, vor allem unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten, beschreiben und vergleichen.
Das Redaktions-Team schaut aber auch unter den deutschen Betten nach, ein wenig im Sinne des weitläufig kommentierten Buches Unter deutschen Betten, von Justyna Polanski, einer in Deutschland arbeitenden, polnischen Putzfrau. Niemcy-online hat als erstes polnisches Portal über die Veröffentlichung des Buches berichtet und eine Kritik geschrieben. Denn die Leser interessieren sich auch brennend für das alltägliche Leben der westlichen Nachbarn.
Dies belegen auch die Online-Statistiken. Die Beiträge zum Thema des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen in der deutschen Kirche, oder zum Thema der Integrationsproblematik der türkischen Minderheit in Deutschland, wie auch Artikel über die deutsche Fußballmannschaft und den Nationaltrainer Jogi Löw sowie über die Schwäche der Deutschen für ihre Autos. Dies sind oft die beliebtesten und populärsten Themen auf der Seite.
Deshalb wurden auch Kontakte mit Berichterstattern in Berlin, Essen, München und Stuttgart geknüpft, um unmittelbar vor Ort Mitarbeiter zu haben, die nicht nur über die Fakten, sondern auch über den Bewusstseinszustand der Deutschen informieren können. Dank ihnen hat niemcy-online sehr spannende Beiträge anlässlich des Jahrestages des Berliner Mauerfalls, der Ernennung der europäischen Kulturhauptstadt, der Organisation der Automobilmesse oder der Proteste um Stuttgart 21 präsentieren können.
Mit der Zeit sind weitere Kontakte entstanden und neue Wege der Zusammenarbeit wurden eingeleitet, so dass jetzt auch mit aktuellen und exklusiven Berichten darüber, was die Deutschen täglich in Berlin, Bochum, Tübingen oder Eichstätt bewegt, gerechnet werden darf.
Im alltäglichen Leben bieten die deutsch-polnischen Kontakte ein stabiles und erfreuliches Bild. Polen wohnen auf der deutschen Seite der Oder, schicken ihre Kinder dort in den Kindergarten und zur Schule, finden eine Anstellung und machen auch Karriere auf höchsten Leitungsebenen der großen deutschen Konzerne oder beenden die Spielsaison mit dem Titel der Borussia-Könige.
Und zugleich, wie eine Forsa-Studie zeigte, belegt Polen den zweiten Platz (nach der Schweiz) im Ranking der beliebtesten Migrationsziele der Deutschen in Europa. Polen hat somit Österreich überholt! Und dafür ist niemcy-online da: Um die Ereignisse zu schildern und den Lesern zu helfen ihre Nachbarn zu verstehen.
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