Fünf Jahren sind vergangen, seit der Ermordung des ukrainischen Journalisten Georgij Gongadze. Viel ist seither in der Ukraine passiert. Die orangene Revolution endete friedlich. Viktor Juschtschenko wurde im zweiten Anlauf zum neuen Präsidenten gewählt. Doch vor zwei Wochen hat er die populäre Ministerpräsidentin Julia Tymoschenko entlassen und nun droht der Regierung die Spaltung.
Und schon wieder gehen Journalisten auf die Straße und protestieren. Genau wie früher demonstrieren sie vor dem Präsidentenpalast und fordern erneut die Wahrheit. Doch diesmal von der Macht, die sie vor einem Jahr während der Revolution noch unterstützt hatten. Auf den Plakaten steht nun nicht mehr: "Kutschma, wo ist Gongadze?" Sie fordern heute: "Juschtschenko, wer sind die Auftraggeber des Mordes an Gongadze?". Allein diese Forderung verdeutlicht, was sich die Menschen in der Ukraine derzeit fragen: Was hat sich seit der Revolution wirklich verändert?
Vieles in der aktuellen ukrainischen Politik ist kaum noch zu verstehen. Das System nähert sich einer neuen Krise. Das frühere Machtkartell um den abgewählten Präsidenten Kutschma war im vorigen Dezember vor den Augen der Weltöffentlichkeit auseinander gefallen. Nun aber stehen auch die damaligen Revolutionsführer Juschtschenko und Tymoschenko auf verschiedenen Seiten der Barrikade und Präsident Juschtschenko ist allein übrig geblieben. Denn um ihn herum gibt es fast keinen Politiker, der nicht in irgendwelche Machenschaften verstrickt sein soll oder dem nicht Korruption vorgeworfen wird. Selbst die einfachen Leute, die während der Revolution bei klirrender Kälte gemeinsam auf dem Platz der Unabhängigkeit mitten in der Hauptstadt Kiew friedlich demonstriert haben, streiten jetzt miteinander. Einige unterstützen Juschtschenko, andere sagen: "Wenn Tymoschenko ruft, wir sind bereit, wieder ins Stadtzentrum zu gehen. Diesmal um die Konterrevolution voran zu treiben."
In dieser Situation braucht die Ukraine nicht auf Westeuropa zu hoffen. Denn der Chef der EU-Kommission, Jose Manuel Baroso hat bereits deutlich gemacht, dass die Ukraine beim derzeitigen politischen Stand nicht auf Europäische Versprechen setzten kann.
Und die Zeit verstreicht und beunruhigt natürlich Westeuropa und die EU. Selbst seit der Machtübernahme von Juschtschenko ist im Fall des Journalisten Georgij Gongadze nichts aufgeklärt worden. Die Umstände seiner Ermordung sind weiter unklar. Die Auftraggeber wurden nicht gefunden und die Lage verschlimmerte sich noch: Denn seit der Tat verschwanden Menschen aus dem Umfeld des Journalisten und der Verdächtigen, andere wie der frühere Transportminister Grygorij Kyrpa und ehemalige Innenminister Kravtschenko begingen Selbstmord.
Georgij Gongadze hätte sich nie vorstellen können, dass er einmal so viel in der Ukraine bewirken kann. Und, wie zynisch das auch klingen mag, noch immer bewirkt. Das alles nur, weil die Aufklärung seines Todes nicht vorankommt. Erst, wenn Kutschma im Gefängnis ist und keine Kommentare mehr im Fernsehen abgibt, und endlich der Kopf des ermordeten Journalisten gefunden und begraben ist, kann man sagen, dass es in der Ukraine Pressefreiheit gibt.
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