30.09.2012 von Ioan Marian Ciuciu, Rumänien

Eine Nacht in Leipzig

Vielleicht sollte ich doch Bauingenieurin oder Ӓrztin werden? Diese Frage taucht bei mir immer wieder auf. Meistens, wenn ich von den regelmäβigen Arbeitsschichten, von dem alltäglichen Schema übermüdet bin oder wenn mein Bankkonto wieder zu schnell leer ist. In der letzten Zeit kommt dazu noch ein anderer Zweifel: der Zweifel am Sinn der journalistischen Arbeit. Um diesen Sinn zurück zu finden, habe ich mich um das SSM- Seminar beworben. Ich dachte mir, dass es für mich einen neuen beruflichen Impuls geben könnte. Ich hatte auch die Hoffnung, den Zweifel zu verlieren. Dieses ist mir aber nicht so ganz gelungen...

Das chinesische Sprichwort „Mögest du in interessanten Zeiten leben“ ist heute aktuell wie nie. Eigentlich sollten wir Journalisten darüber froh sein. Es ist tatsächlich viel los. Man kann stundenlang berichten, tausende Zeitungsseiten beschreiben und langandauernde Sendungen vorbereiten, um die Welt zu erklären. Diese Aufgabe wird aber nicht mehr nur von Journalisten und Experten erfüllt. Man macht sich seit einiger Zeit Sorgen darum, wie die wertvollen Inhalte den Leuten bewusst gemacht werden. Jetzt, wenn die ganze Welt in ein kleines Smartphone passt und die virtuelle Realität (aber nicht nur) von verschiedenen Algorithmen abhängig ist, scheint es sehr schwer dies zu erreichen. Auβerdem ist unsere Rolle als erster über verschiedene Ereignisse zu berichten längst vorbei. Das kann zurzeit jeder machen und man braucht dafür nicht mehr als ein Handy mit Internetzugang. Wer braucht also meine Arbeit? Wie soll ich meine Arbeit gut machen?

Ich merke in Polen wie die Qualität unserer Arbeit sinkt. Nun weiß ich nicht genau, ob unsere Texte und Beiträge sich an die niedrigeren Erwartungen des Publikums anpassen oder ob das Niveau des journalistischen Aufwands halt schlechter geworden ist. Es ist Tatsache, dass unsere Stimme nicht mehr als etwas Wichtiges und Nötiges anerkannt wird. Wir leben in getrennten Blasen und falls wir uns nur in Social Media sachkundig machen, bekommen wir immer dasselbe. Die Meinungsvielfalt bleibt dann nur als ein leeres Stichwort. Das passiert aber gerade und wird für den Journalismus eine der wichtigsten Herausforderungen. Mehr oder weniger haben dieses Problem alle Journalisten auf der Welt. Besonders in Polen ist es gut zu sehen. Auf die öffentlich-rechtlichen Medien kann man sich in letzter Zeit nicht mehr verlassen. Im Gegensatz zu den deutschen dienen sie der Regierung als ein Mittel der Propaganda. Hier bekommt man keine Information, sondern nur eine Meinung, die mit der politischen Richtlinie übereinstimmt. Die einzelnen privaten Medien versuchen die Situation in ein Gleichgewicht zu bringen, aber oft auf falsche Art und Weise, indem sie sich ständig auf die andere Seite stellen, egal ob es gerechtfertigt ist oder nicht. Die Politiker haben die polnische Gesellschaft gespalten und die Medien haben ihnen dabei geholfen. Der politische Krieg um die demokratischen Werte und den zukünftigen Status des Staates hat eine absurde, undemokratische Form angenommen. Die gröβte polnische Tageszeitung Gazeta Wyborcza hat gerade die Abteilung „Meinungen“ aufgelöst. Der Grund dafür war, die sogenannten „Symmetristen“ (die Journalisten, die auch Vorteile der jetzigen Regierung bemerken) haben hier nichts zu suchen. Eine links-liberale Zeitung lässt die andere Meinung nicht zu. Worin unterscheidet sie sich also von den Regimemedien? Im Endeffekt leidet daran die Glaubwürdigkeit unseres Berufs und das gerade in Zeiten der Fake News. Schlimmer könnte es wohl nicht sein.

Der BBC-Standard, eine Information immer mit drei Quellen zu überprüfen, ist bei den durchschnittlichen Internetnutzern nicht anwendbar. Wir funktionieren in der hektischen Wirklichkeit. Eine Sekunde, vielleicht eine Weile mehr, um die Aufmerksamkeit des Social Media-Nutzers zu gewinnen, das ist nicht viel. 280 Zeichen für einen Tweed kann aber keine Ausrede für die Unzuverlässligkeit sein. Fake News und Fake Accounts gehören leider zum Alltag. Es ist das Kriminellste, was im Journalismus passieren konnte, sagen einige und stimmen gleich zu, dass der Kampf mit denen sehr schwer oder sogar unmöglich ist. Das heiβt aber nicht, dass wir darauf verzichten sollen. Journalismus muss eine Lösung finden die Verunsicherung der Gesellschaft durch die Fake News zu vermeiden, denn wenn es dazu kommt und aus Bürgern bloß „Follower“ werden, dann taucht wieder diese Frage auf: „Sollte ich vielleicht doch Bauingenieurin oder Ӓrztin werden?“

Und ich habe Angst, es kommt der Tag, an dem die einzige gute Antwort „ja“ heißt.

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