„Der Fußball versammelt zwei Typen von Männern: diejenigen, die keine Freundinnen haben und diejenigen, die keine Ehefrauen haben“, schrieb einst der serbische Kinderbuchautor, Dichter und Journalist Duško Radović (1922-1984). Das „Männerverhalten“, welches Radović in seinem kleinen Aphorismus so humorvoll beschreibt, wurde in Kroatien im Sommer 2018 schlagartig demontiert. Natürlich, Fußball hat seit den Jahren in denen Radović noch tätig war eine Metamorphose erlebt und sich quasi in die Frauenwelt „hinein evolutioniert“. Besonders bei der Welt- oder Europameisterschaft bekommt der „Männersport“ feminine Züge, denn die Frauen fiebern ja fleißig mit. So war es auch in Kroatien beim „Sommermärchen“ 2018.
Die WM in Russland fing an, man hatte keine großen Erwartungen von der kroatischen Nationalmannschaft oder wie man sie in Kroatien „Vatreni“ (kroat. „die Feurigen) nennt. Am Ende wurde es ein Feuerwerk. Anfangs hielt es sich in Grenzen, auch wenn zu Beginn der WM die ganze dazugehörige Folklore in der Bevölkerung viele Sympathisanten fand. Aber dann „eskalierte“ die Sache. Das kroatische WM-Feuer geriet außer Kontrolle. Die Wörter „Gemeinsamkeit“, „Teamgeist“, „Kampfgeist“, „Ausdauer“, „Euphorie“, „Helden“ waren in der Presse an der Tagesordnung. Kurzgefasst: In den kroatischen Medien wimmelte es von „Teamgeist“, fast schon von „Teamgeistern“, also so viele „TeamGEISTER“ findet man ansonsten nur im Keller der Adams-Family. Mann bekam fast schon den Eindruck, dass nicht mal Marvel und DC gemeinsam so viele „Helden“ haben wie Kroatien!
Ein Tsunami von Euphorie überschwemmte die Medienlandschaft. Ständig wurde der Leser, der Hörer, der Zuschauer erinnert, dass „die Vatreni“ ihr Leben, ihr Herz, ihre Seele (fehlte nur noch die Niere!) auf dem Spielplatz gelassen haben, denn so chirurgisch und blutig war der „große Kampf“ um den Ball! Immer wieder „regnete“ es im öffentlichen Raum Gemeinsamkeit, Teamgeist, Ausdauer, Helden, Einigkeit, Gemeinsamkeit, Ausdauer, Teamgeist, Ausdauer, Helden, Gemeinsamkeit, Einigkeit ... So lief das tagtägliche journalistische Haiku rauf und runter, ohne Ende, ohne jegliche Balance. Der sportliche Dadaismus erlebte seine(n) Höhepunkt(e). Man übertrieb!
Kroatien hatte auf einmal keine 4,2 oder 4,3 Millionen Einwohner, sondern mindestens so viele (vielleicht noch viel mehr) „Fußball-Experten“ mit wirklich „klugen“ und „kniffligen“ Strategien! Die Tageszeitungen brachten nur Nachrichten über den Fußball, besonders nach dem Einzug ins Halbfinale, bei der Wettervorhersage im öffentlich-rechtlichen HRT (Hrvatska radio-televizija/Kroatischer Rundfunk) zeigte man sogar die Wetterprognose für Sotschi, damit die Zuschauer wussten, in welchen Umständen ihre Spieler, ihre Helden spielen würden. Supermärkte wurden früher geschlossen, damit man es schaffen konnte abends das Spektakel zu verfolgen. Zum Beispiel, viele Straßen in Dubrovnik waren während der Spiele leer, es sah aus wie eine Geisterstadt in der gerade Billy The Kid und seine Gang waren. Neben dem Meer von weiß-roten Schachbrettmustern, gab es auch ein Erdbeben – und das wortwörtlich. Die seismologische Station der geophysischen Abteilung der Fakultät für Wissenschaft in Zagreb hat um 22.20 und 22.37 Uhr am 11. Juni eine leichte Bodenerschütterung dokumentiert. Zu diesem Zeitpunkt lief die Verlängerung gegen England. Um 22.30 schoss Mario Mandžukić dann ein Tor und 17 Minuten später beendete der Schiedsrichter das Spiel! Die Fans haben tatsächlich etwas bewegt!
Und dann kam das Finale und die kroatische Präsidentin Kolinda Grabar Kitarović hatte ihre „Show“. „Ne me quitte pas“ hätte Jacques Brel bei dem herzhaften Anblick von Nähe und Geborgenheit zwischen Grabar-Kitarović und ihrem französischen Kollegen Emmanuel Macron gerufen. Aber am Ende gab es kein Gold, la vie ne fait pas de cadeau, würde an dieser Stelle Brel energisch schreien! Doch Grabar-Kitarovićs emotionales Auftreten wurde international sehr gepriesen und in Kroatien stieß ihr Benehmen auf Kritik und Zustimmung, auch wenn das Hinknien und Küssen der WM-Trophäe nur peinlich waren. Warum sie und nicht der Ministerpräsident Andrej Plenković dort war, hatte nach manchen Meinungen den Grund, dass 2019 Präsidentschaftswahlen in Kroatien bevorstehen und dass die Frau Präsidentin die WM geschickt ausgenutzt hat, um schon im Voraus Sympathiepunkte für die Wahlen zu sammeln. Auf der anderen Seite sind Präsidenten in Kroatien nach Umfragen immer die beliebtesten Politiker. Leichter als Präsident in Kroatien, ist es Tourismusminister zu sein – man spricht nur von Erfolgen und guten Zahlen, positiven Trends, reist viel, erlebt viel und das eigene Ressort blüht wie die Muskeln von Popeye nach einer Dose Spinat. Doch die Politik zeigte auch ihre schmutzigen Seiten oder wie man heutzutage sagen würde ihre „Fifty Shades of Grey“ und die Politiker spielten mit der WM für ihren super billigen Populismus.
So kam, siehe da, in einem Moment von der Regierung die Idee ein nationales Stadion in Kroatien zu bauen! Was für eine geniale Idee! Die kroatische Mannschaft war so erfolgreich und historisch war der zweite Platz sowieso. Die Kroaten waren die Gewinner der Herzen! Denn, der größte Erfolg der kroatischen Elf gelang bei der WM in Frankreich 1998 und damals landete Kroatien auf dem dritten Platz. Damals, in der frischen Nachkriegszeit war das für die Kroaten eine wichtige Ermutigung und es tat richtig gut für den nationalen Stolz in schwierigen Zeiten. Die Mehrheit verband mit dem damaligen Team Emotion, Leidenschaft und Zusammenhalt. Dann schliefen fast alle wieder ein, man verfolgte die Mannschaft, aber nicht so emotional wie 2018. Bei dem ganzen WM-Fieber vergaßen die Leute ihre alltäglichen Probleme und die kroatische Gesellschaft, die in vielen Fragen so gespalten ist, wurde „einigermaßen“ einig – elf Fußballspieler haben das geschafft, was viele in 50 oder 100 Jahren nicht schaffen würden oder werden!
Aber was ist nach alldem geblieben?! Nichts! Echte Fußballfans sind weiterhin sicherlich stolz, aber die Mitläufer, die die nur Fans wurden, weil es damals IN war das Team anzufeuern, ist es egal. Der sportliche Erfolg bringt tausende Fans mit sich, aber wenn es nach unten geht (wie beim 6:0 gegen Spanien im September 2018), da bleiben nur die treuesten.
Die Rede über das Nationalstadion hat seit langem und ohne Abschiedsbrief den Medienbereich verlassen, niemand fragt mehr danach. Nach der historischen Niederlage gegen Spanien sowieso nicht! Schon der Empfang der Mannschaft in Zagreb, der Züge von einem Papstbesuch hatte, entfachte eine Diskussion und zwar bei der Wahl des Sängers der dort auftreten sollte oder nicht sollte. Das war das erste Ernüchterungssymptom nach der WM und schon sah man wieder die Rückkehr in die tief geteilte kroatische Gesellschaft, die man für ein paar Wochen vergaß. Im Rhythmus des Domino-Effekts verließen in kurzer Zeit ein paar Spieler die Nationalmannschaft, ein paar Spieler hatten noch Probleme mit Gerichten, aber das vergaß man während der WM und man tat so als wäre alles in Ordnung. So viel zu den Idolen der Jugend. Ein positiver Moment war die Ehrung „Europas Fußballer des Jahres“ für den Kapitän Luka Modrić. Die ganze Euphorie hinterließ keine großen Spuren, die sportliche Infrastruktur ist weiterhin schlecht oder schlecht genutzt. Ein Beispiel: In Dubrovnik, der weltberühmten Perle der Adria und der Hauptstadt der Dubrovnik-Neretva Gespanschaft (ca. 120.000 Einwohner), hat seit dem „Geburtsjahr“ Kroatiens noch nie die kroatische Nationalmannschaft gespielt! Warum? Das „Stadion“ befindet sich in einem „ausgezeichnet“ schlechten Zustand!
Wenn man sich die infrastrukturelle Situation anschaut, dann haben die Sportler eine Meisterleistung vollbracht, und nicht nur die Fußballer. Die Freude ist passé, viele Stadien in Kroatien verfallen, Reste, besser gesagt winzige Artefakte vom Stolz und der sommerlichen Freude sind geblieben, aber man braucht etwas Langfristiges und das fehlt noch immer in Kroatien. Das war von Anfang an nur ein Erfolg dieser elf Sportler und wirklich jeder wollte sich in dieser miserablen Zeit ein Stück davon abschneiden, aber dann nahm es ein Ende und die Kroaten stehen wieder am Anfang, man ist von der Wolke sieben runtergekommen. Und nein, nicht alle stehen nur da und sind ohne Hoffnung. Die einen warten an der Küste auf ihre Gäste aus dem Ausland, als Gastgeber und die anderen, die im Innenland leben, werden zu Gastarbeitern im Ausland. Aber immerhin, etwas Positives gibt es schon: Der Fußball versammelt mittlerweile zwei Typen von Frauen: diejenigen, die einen Freund haben und diejenigen, die einen Ehemann haben – und diejenigen die einfach verrückt nach Fußball sind!
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