30.09.2014 von Kseniia Reutova, Russische Föderation

Ministerium ohne Kultur: Wie die Zensur in der russischen Filmkunst funktioniert

In diesem Sommer fanden in der ukrainischen Stadt Nikopol die Dreharbeiten des neuen Films von Aleksandr Mindadze „Lieber Hans, bester Pjotr“ statt. Das Skript basiert auf einer Geschichte der Freundschaft zwischen zwei Ingenieuren und ihren Familien. Einer der Ingenieure stammt aus der Sowjetunion und der andere aus Deutschland. Ob dieser Film Erfolg haben wird, ist noch nicht zu beurteilen. Aber jetzt kann man schon sagen, dass es nicht genau der Film sein wird, der ursprünglich vom Regisseur beabsichtigt war.

„Mögen alle Blumen blühen, aber bewässern werden wir nur jene, die uns gefallen“, sagte in einem der Interviews der Kulturminister der Russischen Föderation Wladimir Medinskij im Bezug auf die Staatsförderung von Kinoprojekten. Damals nahmen viele diese Aussage als Metapher wahr. In Wirklichkeit war es eine Anleitung zum Handeln. Medinskij, der die Leitung des Kulturministeriums vor zweieinhalb Jahren übernahm, traf eine Entscheidung, die Kinoindustrie unter seine unmittelbare Kontrolle zu stellen. Es wurde eine Reform durchgesetzt, mit der alle Projekte, die Anspruch auf Finanzförderung aus der Staatlichen Filmstiftung oder unmittelbar aus dem Kulturministerium hatten, fortan einer Prozedur des offenen Pitchings unterworfen wurden.

Zuerst wurde diese Neuerung mit Begeisterung von Producern und Regisseuren aufgenommen. Das Veröffentlichen der Anmeldungen von Kinoprojekten ist eine etablierte Weltpraxis und für viele Filmschaffende ist es die einzige Möglichkeit, als solche hervorzutreten. Tatsächlich wurden jedoch die Pitchings in Russland zu noch einer Zensurbeschränkung, die der russischen Filmkunst auferlegt wurde.

Der Film von Mindadze „Lieber Hans, bester Pjotr“ wurde zu einem der ersten Opfer der Zensurmaschine. Der Film hatte alle Chancen, staatliche Förderung zu bekommen. Der Regisseur ist kein Anfänger, sondern ein anerkannter Autor, Träger vieler russischer und internationaler Preise. Das Projekt ist eine gemeinsame Produktion von Russland und Deutschland und ein wesentlicher Teil der für die Produktion notwendigen Summe ist bereits von deutschen Filmförderungen aufgewandt worden. Beim Pitching bekamen das Skript und die Präsentation des Films hohe Bewertung von Experten.

In die endgültige Liste der genehmigten Anmeldungen gelang der Film von Mindadze jedoch nicht. Als man sich für Erläuterungen an das Kulturministerium wandte, stellte sich heraus, dass die Projekte einer Zusatzbeurteilung durch zwei Ausschüsse – einem militärhistorischen und einem sozial-psychologischen – unterworfen wurden. Aufgedeckt wurden weder die Zusammensetzung dieser Ausschüsse noch Persönlichkeiten der Experten. Nur ein Kommentar erfolgte: „In diesem Film wird nicht genau der Standpunkt dargestellt, den die Veteranen des Großen Vaterländischen Krieges erwarten.“

Am erstaunlichsten ist die Tatsache, dass das Drehbuch von „Lieber Hans, bester Pjotr“ mit dem Zweiten Weltkrieg nur indirekt verbunden ist. Die Handlung spielt im Jahre 1940, als die Sowjetunion und Deutschland im Militärbereich noch zusammenarbeiteten. In der Handlung kommt ein deutscher Optiker auf eine Dienstreise in die UdSSR, um mit sowjetischen Kollegen Erfahrungen auszutauschen. Es dauert noch ein Jahr bis zum Krieg zwischen den beiden Ländern. Die Tatsache der deutsch-sowjetischen Zusammenarbeit ist schon lange durch Historiker bestätigt, aber das Kulturministerium erkennt sie aus irgendeinem Grund nicht an. Im Ergebnis mussten die Filmmacher unter Druck der Staatsbeamten die Zeit der Handlung auf die 30er Jahre verlegen.

Und dies ist kein Einzelfall. Im September 2013 lehnte die Filmstiftung eine Finanzierung für Kirill Serebrennikows Film „Tschaikowsky“, einer Biographie des berühmten russischen Komponisten, ab. Der offizielle Grund der Absage war die „Abwesenheit des Zuschauerpotentials“, der inoffizielle Grund waren Informationen darüber, dass die Autoren des Films die sexuelle Orientierung des Helden nicht ignorieren würden.

Dasselbe Schicksal widerfuhr vor einigen Monaten dem Dokumentarfilm von Witali Manskij „Die Verwandten“, der von einer Familie erzählt, die durch die aktuellen Ereignisse in der Ukraine getrennt wurde. Ursprünglich erwarb der Film die Finanzierung und kam sogar auf die Liste auf der Webseite des Kulturministeriums. Einen Tag später wurde das Dokument von der Webseite entfernt und in der neuen Liste, die nach kurzer Zeit erschien, befand sich der Film von Manskij nicht mehr. „Vermutlich traf die Ablehnungsentscheidung bezüglich des Projekts „Die Verwandten“ der Kulturminister in Person“, meinte der Regisseur.

Regisseure und Producer bewältigen die entstandene Situation auf verschiedene Weise. Die Autoren des Films „Tschaikowsky“ kündigten an, dass sie die Finanzierung nur bei ausländischen Filmgesellschaften und Stiftungen beantragen. Animator Garry Bardin, der auch durch Verschulden des Kulturministeriums einen neuen Film nicht abschließen konnte, startete eine Crowdfunding-Aktion und erzielte an einem Tag über 400.000 Rubel von russischsprachigen Internet-Nutzern. Witali Manskij schließt seinen Film auf eigene Rechnung ab. In der Beurteilung von vielen Experten hat die Zensur, so seltsam es auch klingt, einen positiven Effekt. Die Filmschaffenden, die sich seit sowjetischen Zeiten daran gewöhnt haben, sich im Großen wie im Kleinen immer auf den Staat zu verlassen, lernen endlich, auf die eigene Kraft zu bauen.
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