30.09.2007 von Vojtech Berger, Tschechische Republik

Mit dem Aufzug in die Geschichte. Tschechischer Hörfunk – eine Story über Tradition, Stolz und Widerstand

August 2007. In der Vorhalle vom Gebäude des Tschechischen Hörfunks in Prag gibt es großen Klamauk. Viele Leute laufen in historischen Kostümen hin und her, sogar der Generaldirektor ist auch in einem altmodischen Frack gekommen, mit elegantem Zylinder auf dem Kopf. Was für ein Ereignis? Der historische Aufzug, der so genannte „Paternoster“, der in Tschechien nur selten zu sehen ist, wird hier heute nach 74 Jahren stillgelegt. Ein symbolischer Auftakt für eine jahrelang, geplante Rekonstruktion des riesengroßen Gebäudes. Dennoch muss man deshalb wirklich solch einen Krawall machen? Häuser werden nun mal gelegentlich rekonstruiert... Klar, aber hinter jeder Tür in diesem Gebäude verbirgt sich ein Stück Geschichte. Der Tschechische Hörfunk, ein Radiosender fast so alt wie die weltberühmte BBC, hat vieles zu erzählen. Wenn jetzt der Fahrstuhl still gelegt wird, mit dem schon viele Generationen der Hörfunk-Leute gefahren sind, kann man diese Gelegenheit ausnutzen, um ein bisschen in die Vergangenheit zu blicken. Denn die moderne Geschichte Tschechiens ist mit seinem Hörfunk, ohne zu übertreiben, sehr eng verbunden.

Der Kampf um den Platz an der Sonne

1918 entstand der neue Staat, fünf Jahre später auch sein Radio. von einem echten Hörfunk konnte aber damals keine Rede sein. Die ersten Sendungen wurden nicht von einem Studio, sondern von einem Zelt ausgestrahlt. Die Tschechen, vor allem die vom Lande, waren dem neuen Medium gegenüber misstrauisch. Dennoch gelang es dem Hörfunk, der damals den Namen Radiojournal trug, dank verschiedensten Reportagen über Themen wie Gesellschaft oder Sport großes Interesse bei den Zuhörern zu wecken. Die neue Republik entwickelte sich schnell und das Radio ebenfalls. Es herrschte kein Mangel an interessanten Themen, auch deshalb konnte der Tschechische Hörfunk in den ersten 15 Jahren seiner Existenz vollkommen auf Politik verzichten. Es gab keine politischen Kommentare, nur ab und zu verlieh das Radio ein Mikrofon an einen Regierungspolitiker, der sich mit seiner Rede ans Volk wenden wollte.

Über die Radiowelle wurden auch die letzten Tage des ersten tschechischen Präsidenten Masaryk verfolgt, einschließlich der Live-Übertragung vom Trauermarsch durch Prag, nachdem Masaryk im September 1937 starb. Da waren die besten Tage schon vorbei, aber zu der bisher größten Herausforderung sowohl für den Hörfunk, als auch für alle Tschechen – ein Jahr später kam das Münchner Abkommen und die Abtretung der Grenzgebiete der Tschechoslowakei an das Dritte Reich. Die Politik nahm einen festen Platz im Hörfunkprogramm ein. Die neuen Verhältnisse mussten den Leuten möglichst eingänglich erklärt werden. Außerdem musste die Bevölkerung ermutigt werden. Beide Aufgaben übernahm, ohne Überraschung, der Tschechische Hörfunk. Doch nur wenige Monate der begrenzten Freiheit blieben und noch ein größeres Elend stand bevor.

Erste Zerreißprobe

Am 15. März 1939 marschieren die Nazi-Truppen in Prag ein. Die sechs Jahre der Okkupation beginnen. Doch der Hörfunk, in den ersten Tagen noch nicht vollständig unter der Kontrolle der Okkupanten, kommt seiner Berichtpflicht nach. Reporter Frantisek Kocourek steht auf der Terrasse eines Hotels am Wenzelsplatz und klärt alle Zuhörer über die schwere Situation in der Hauptstadt auf. Seine Reportage wird als ein Akt des Widerstandes wahrgenommen. Leider auch einer seiner letzten. Frantisek Kocourek stirbt 1942 im KZ Auschwitz-Birkenau. Er war nicht der einzige, der von berufswegen gegen die Nazis kämpfte. Viele seine Kollegen, die im Dienst geblieben sind und während der ganzen Kriegszeit im Radio wirkten, haben große Opfer gebracht. Die Hörfunkangestellten wussten, dass die Okkupanten mit der tschechischen Sprache nicht sehr vertraut waren, und nutzten dies aus. Als Kulisse für einen Propagandabeitrag der Nazis wurde ein tschechisches Volkslied gewählt, dessen Text lautete: „Der Frühling wird kommen, der Mai wird wieder herrschen...“ In den Kriegssendung sind viele solcher Sabotagen zu finden. Und das prophetische Lied erfüllt sich wirklich – der Mai kam tatsächlich. Am 05. Mai 1945 begann der Prager Aufstand. Der Aufruf dazu kommt vom Hörfunk. Ein echter Krieg bricht aus, nicht nur rund um das Radiogebäude, sondern auch drinnen. Der Hörfunk ruft in der Sendung die Regierungstruppen, Polizei und alle Leute zu Hilfe. Und sie kommen...Die Nazis wissen, wie wichtig das Radio ist, und bieten deshalb alle Kräfte auf, um den Radiopalast zurück zu erobern. Aber sie unterliegen. Der Krieg ist vorbei. Das Land ist verletzt und der Hörfunk genauso, doch er ist wieder frei und kann zum Wideraufbau der Tschechoslowakei beitragen. Dennoch die Erneuerung ist nur von kurzer Dauer – es kommt der kommunistische Putsch 1948 und der Hörfunk fällt wieder der neuen undemokratischen Regierung zu. Es begannen die grausamsten Jahre der kommunistischen Ära – die 50er Jahre . Politische Prozesse, mitleidslose Verfolgung von Regimegegnern, Arbeitslager für Häftlinge – das ist die Realität. Und der Hörfunk als das wichtigste Medium dieser Zeit soll diese Tatsache anders darstellen – so dass sie von der Bevölkerung besser aufgenommen werden.

Hoffnungsvoller Prager Frühling

Doch es kommt wieder der Mai – die 60er Jahre. Die allgemeine Entspannung der gesellschaftlichen Verhältnisse spiegelt sich auch in den Medien wieder. Das Informations-Monopol des Hörfunks ist vorbei – das Fernsehen drängt nach vorn. Für das Radio entsteht die einzigartige Chance, sich ein bisschen aus der Umklammerung der Kommunisten zu befreien. In die Sendungen wird weniger eingegriffen als früher. Trotz allem kommt die Ernüchterung und die Zerstörung aller Hoffnungen auf den Prager Frühling - die sowjetische Invasion im August 1968. Genauso wie in 1945, stand wieder das Hörfunk-Gebäude im Zentrum aller Kämpfe. Auch die Bilanz war entsprechend traurig – um das Haus herum starben 15 Menschen. Ebenso wie 1945 stand auch diesmal das Radio an der Seite des Volkes. Die Redakteure wurden zu Soldaten, die ihre Festung um jeden Preis verteidigen wollten. Dennoch in dieser Schlacht zwischen Mikrofonen und Maschinenpistolen mussten schließlich die Gewehre siegen. Die Sowjets haben das Radio von Grund auf ausgeplündert, fast nichts von der inneren Ausstattung ist geblieben. Den Rest hat die kommunistische Regierung selbst besorgt – hunderte von Angestellten wurden gefeuert und auf ihren Platz „geprüfte“ Kommunisten gesetzt. Was weiter folgte, war die so genannte „Normalization“, ein staatlich gesteuerter Prozess, der dem Regime eine feste Herrschaft zurück bringen sollte. Letztendlich musste sich jeder daran anpassen. Doch es gab Unterschiede: Der Tschechische Hörfunk hatte Anfang der 70er Jahre schon eine fünfzigjährige Tradition. Er war kein von Kommunisten geschaffenes Medium, sondern eins von der demokratisch regierten ersten Tschechoslowakischen Republik. Deshalb hatte „Normalization“ zwar die Unterstützung des Hörfunkchefs, aber nicht mehr die der Hörfunkangestellten. Im Fernsehen war es anders. Gegründet erst in 1953, war das Fernsehen ein Medium, das von Anfang an die gesetzten Grenzen nicht überschreiten durfte. Dem Hörfunk dagegen blieb immer ein Raum des Widerstandes...

Wieder vom Anfang an...

Das nächste interessante Kapitel der Hörfunkgeschichte beginnt erst nach der Wende 1989. Neue Verhältnisse brachten auch neue Herausforderungen mit sich, und der Hörfunk bildete keine Ausnahme. Die Tschechoslowakei wurde in zwei neue Staaten geteilt. Die Wirtschaft stellte sich auf Kapitalismus um. Westliche Medien hatten plötzlich Zugang zum ehemaligen kommunistischen Block und richteten ihre Aufmerksamkeit nach Prag. Auch der Tschechische Hörfunk strebte nach einem Platz an der Sonne. Der Anfang war dennoch genauso chaotisch wie die ganze damalige Zeit. Der ehemalige Direktor des Tschechischen Hörfunk 1 - Radiozurnal Miroslav Konvalina erinnert sich, wie er einen politischen Witz in der Live-Sendung Anfang der 90er Jahre erzählte, und danach einfach gar nichts passierte. Seitdem hat aber der Hörfunk eine lange Strecke zurückgelegt. Die Digitalisierung schreitet fort. Ein dichtes Netz von regionalen Sendungen wurde errichtet. Insgesamt betreibt der Tschechische Hörfunk heute vier landesweite Programme und elf regionale. Dazu noch eine spezielle Nachrichtensendung, eine Station für Jugendliche, klassische Musiksendung und ein Programm für Technik und Wissenschaft – CRo Leonardo. Gerade Leonardo wurde international bekannt für seine Reality Show „Odhaleni“, wo Menschen unter 24stündiger Beobachtung per Kamera standen. Öffentlich-rechtliche Radios in ganz Europa setzen sich mit sinkenden Einschaltquoten auseinander. Doch in Prag scheinen viele Ideen zu sein, die das Interesse der Zuhörer wieder wecken könnten. Dass es gelingt, ist eine Schlüsselaufgabe für die Zukunft des Tschechischen Hörfunks. Und für ein nächstes Kapitel seiner ohnehin reichen Geschichte.
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