Ich bin Ungarin, ich spreche Ungarisch, aber ich wurde nicht in Ungarn geboren und ich habe noch nie dort gelebt.
Bis zum heutigen Tag überrascht dieser Satz viele Menschen, obwohl es nur etwa einhundert Jahre her ist, dass große Gebiete von Großungarn als Folge des Trianon-Vertrags abgetrennt worden sind. Somit haben sich viele ungarische Menschen anderen Ländern angeschlossen. Einige sind nach Österreich, einige in die Slowakei, andere nach Rumänien oder in die Ukraine, nach Kroatien, nach Slowenien oder zum Beispiel nach Serbien gekommen. Viele (wie auch ich) haben damals noch gar nicht gelebt, so haben wir aus Geschichtsbüchern und aus den Geschichten unserer Großeltern erfahren, wieso wir Ungarisch sprechen, wieso wir in einem anderen Land leben, wenn unsere Muttersprache doch Ungarisch ist und was der Begriff Nationale Minderheit bedeutet.
Das Thema, über das ich schreibe, habe ich nicht nur auserwählt, weil es interessant ist oder weil ich direkt betroffen bin, sondern weil es in Ungarn auch heute beliebte und wichtige Fragen aufwirft.
In Ungarn haben die Leute sich schon immer eine Menge mit dem ausländischen Ungarn beschäftigt. Es war schon immer eine Frage, ob es gut wäre, wenn die ausländischen Ungarn die ungarische Staatsbürgerschaft bekommen würden. Was sind die Vor- und Nachteile der Nationsvereinigung. Vor zehn Jahren konnten die ausländischen Ungarn nicht mal hoffen, dass sie die Staatsbürgerschaft leicht und schnell bekommen.
Der 5. Dezember 2004 ist das Datum, an das sich die ausländischen Ungarn auch noch heute erinnern. An diesen Tag haben sie eine Volksabstimmung abgehalten, ob die ausländischen Ungarn eine doppelte Staatsbürgerschaft bekommen sollen oder nicht. Die Mehrheit der Menschen stimmte mit Ja, aber die Volksabstimmung war ungültig, so brauchte das Parlament die Einbürgerung nicht auf die Tagesordnung zu stellen. Der damalige Premierminister Ferenc Gyurcsány und seine Partei, die MSZP (Ungarische Sozialistische Partei), argumentierten von Anfang an gegen die Einbürgerung. Ferenc Gyurcsány sagte, dass das Gesetz für Ungarn gefährlich wäre, weil es zu einer Masseneinwanderung führen würde und dass dies eine Wirtschaftskrise auslösen könnte. Die MSZP-Führer haben behauptet, dass wenn sie dieses Gesetz genehmigen würden, mehrere Millionen Ausländer den ungarischen Arbeitsmarkt überfluten würden.
Im Jahr 2010 hat ein Regierungswechsel in Ungarn stattgefunden. Viktor Orbán wurde zum Premierminister ernannt und seine Partei, die Fidesz, übernahm die Macht in Ungarn. Einen Monat nach dem Regierungswechsel hat das neue Parlament als erste Tätigkeit mit einer großen Mehrheit für das Gesetz über die vereinfachte Einbürgerung abgestimmt. Das Wesentliche am vereinfachten Einbürgerungsverfahren ist, dass sich ausländische Ungarn nicht in Ungarn niederlassen brauchen, um die ungarische Staatsbürgerschaft zu bekommen. Sie brauchen keinen Staatsbürgerschaftstest zu machen, die Kenntnisse der ungarischen Sprache sind genug, und sie brauchen keinen ungarischen Wohnort oder Lebensunterhalt nach zu weisen. Der erste Staatsbürgerschafts-Eid wurde im März 2011 in Mohács abgelegt. Seit Januar 2011 können ausländische Ungarn die Wiedereinbürgerung beantragen.
Die doppelte Staatsbürgerschaft hat eine Menge positive Aspekte, aber auch eine Menge bedenklicher Rechtsfragen. Mit der Staatsbürgerschaft kommen nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Es können Probleme auftreten, beispielsweise (im Extremfall): wenn jemand die Staatsbürgerschaft von zwei Ländern hat, die miteinander im Krieg stehen. Die Tatsache, dass jemand ein Bürger von zwei Ländern ist, bedeutet, dass beide Landesgesetze für ihn gelten. Dies verursacht zum Beispiel die meisten Probleme für die ungarische Minderheit in der Slowakei. Das Gesetz der slowakischen Staatsbürgerschaft sagt, dass wenn jemand die Staatsbürgerschaft in einem anderen Landes annimmt, er dann die slowakische Staatsbürgerschaft verliert. Diejenigen, die sich für die ungarische Staatsbürgerschaft entscheiden, könnten in ihrem Heimatland dadurch Nachteile erfahren. Zum Beispiel können sie ihre Krankenversicherung und ihr Wahlrecht verlieren, aber sie könnten auch Probleme mit ihrer Beschäftigung bekommen. Die Frage wird jetzt auch in der Slowakei diskutiert.
In Ungarn konnten die ausländischen Ungarn bereits bei den diesjährigen Parlamentswahlen mit wählen. Laur Gesetz können solche, die über eine doppelte Staatsangehörigkeit verfügen, an den Parlamentswahlen teilnehmen, sie können aber nur für die Parteilisten stimmen. Dies galt in diesem Jahr für mehr als 120.000 Menschen.
Bisher haben seit 2010 insgesamt 600.000 ausländische Ungarn den ungarischen Staatsbürgerschafts-Eid abgelegt.
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