Die Fakten: Am 6. September 2007 ging bei der Polizei in Kronstadt (rum. Brasov) eine Vermisstenmeldung ein. Elodia Ghinescu, eine 39jährige Anwältin, war am 29. August aus ihrer Wohnung verschwunden. Ein kurzer Beitrag in einer Lokalzeitung berichtete darüber, der Fall wurde von der zentralen Presse vorerst weitgehend ignoriert. Am 13. September wurde das Thema vom Skandalsender OTV aufgegriffen. Innerhalb weniger Tage sollte der Fall Elodia zum Hauptgesprächsthema in ganz Rumänien avancieren.
Dazu gehören vorerst ein paar Erläuterungen: Oglinda TV (Spiegel TV) ist eine Fernsehstation, die aus einer Wohnung im Zentrum von Bukarest seine Programme ausstrahlt. Gegründet wurde der Sender von Dan Diaconescu, bekannter Journalist und ehemaliger Chefredakteur der Tageszeitung Cotidianul, mit der Absicht, eine Alternative sowohl zu den öffentlichen als auch zu den privaten Fernsehkanälen zu schaffen. 90 Prozent des Programms von OTV werden von einem kleinen Studio ausgestrahlt, es sind eigentlich unendliche Gesprächsrunden zu allen möglichen Themen, die von anderen Sendern erst gar nicht ernstgenommen werden. OTV ist zur Plattform für Verschwörungstheoretiker, Weltuntergangspropheten, Wunderheiler oder Ex-Ehepartner verschiedener Prominenter geworden. Die Sendungen sind durch und durch radiophonisch gestaltet, so dass der Zuschauer einfach den Fernseher laufen lassen und sich anderweitig beschäftigen kann. Rare Einlagen von Videomaterial werden Stunden (!) zuvor angekündigt, zum Beispiel als es um ein Gespenst (!!) ging, das eine muslimische Familie nächtelang terrorisierte.
Doch zurück zu Elodia. Als erster wurde ihr eigener Ehemann des Mordes verdächtigt. Cristian Cioacã, Polizeibeamter in Kronstadt, hatte die Mailbox seiner Frau abgehört und von ihrer Beziehung mit einem Leibwächter erfahren. Alle Mails wurden bei OTV wiederholt verlesen und ausgiebig kommentiert. Die Einschaltquote des an sich unscheinbaren Senders verzeichnete damit Höhepunkte, die an mehreren darauf folgenden Abenden jene der klassischen Marktführer (das öffentlich-rechtliche TVR1 und die privaten ProTV und Antena 1) in den Keller sinken ließen. Dabei wurde der Ehemann direkt als Mörder dargestellt. Er wurde erst dann als mutmaßlicher Täter bezeichnet, als er selbst im Studio auftrat. Cioacã wurde dann auch vorübergehend verhaftet, aber mangels Beweisen bald darauf freigelassen. Anfangs wurde die Sendung fast ausschließlich von dem Inhaber selber moderiert. Dan Diaconescu hatte dabei abwechselnd Gäste, die mehr oder weniger mit dem Fall zu tun hatten, eingeladen. Mit der Zeit wurden auch weitere Personen eingespannt. Ein selbsternannter Psychologe, ein zwielichtiger Anwalt und sogar eine Hellseherin wurden zu Dauergästen einer Serie die sich ins Abendprogramm vieler rumänischer Haushalte einen festen Platz erschlichen hatte. Die angebliche Verstrickung Elodias mit der Kronstädter Halbwelt wurde entdeckt, ein ukrainischer Schuldeneintreiber und seine (mittlerweile mit ihm verstrittene) Lebensgefährtin verhalfen der Serie Anfang Juni zu neuen rekordverdächtigen Einschaltquoten.
Mittlerweile (Stand: 14. September 2008) hat die Elodia-Serie 255 Folgen unterschiedlicher Länge verzeichnet. Das in letzter Zeit abnehmende Interesse des Publikums wird mit sensationsträchtigen Teasern immer wieder auf Trab gehalten. Immer wieder heißt es, z.B. "Heute, live bei uns, wird Elodias Leiche entdeckt". Dabei sind lediglich Reporter unterwegs die in den abgelegensten Winkeln der Karpaten nach Elodias Leiche buddeln. Somit hat sich der Anteil der Live-Schaltungen und der Videobeiträge bei OTV in letzter Zeit wesentlich erhöht.
Elodia ist zum Massenphänomen geworden. Bei Fußballspielen ertönt immer wieder aus den Tribünen der Ruf "Ole, ola, unde e Elodia?". Auf schmutzigen Lieferwagen ist öfters zu lesen "Elodia ist da drin". Die Volksmusiksolistin Gherghina Stancu dichtete neulich die "Ballade der Elodia" und sang sie in "absoluter Weltpremiere" (Wortlaut des Senders) bei OTV. Im Internet ist das Spiel "Findet Elodia" abrufbar. Busenwunder Simona Sensual, der halbnackte Wetterfrosch der Boulevardzeitung Libertatea gründete den Fanclub Cristian Cioacã. Sie ist von dessen Unschuld überzeugt. Eine in Deutschland lebende Verehrerin des mutmaßlichen Täters schenkte diesem sogar einen BMW.
Der Fall Elodia berührte auch andere Sender. So plant Mediengigant Media Pro einen Spiefilm zu diesem Thema und die Konkurrenz von Intact Media hat schon einen erfolgreichen Serienregisseur mit der Produktion einer Elodia-Serie beauftragt.
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