Die Frage ist: Warum hat das öffentlich-rechtliche Ungarische Fernsehen seit fast zwei Jahren keinen Präsidenten? Wie kann ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk ohne Präsident funktionieren? Soll eigentlich ein Präsident gewählt werden, wenn das Fernsehen seit seiner "Präsidentenlosigkeit" ohne Pause und ohne Sorgen funktionieren kann? Und wer soll diesen Präsidenten ernennen und wählen?
In Ungarn ist im Grundgesetz festgelegt: Jedermann hat das Recht auf Meinungsfreiheit. Dieses Recht hat zwei Seiten: Einerseits hat jedermann das Recht nützliche Informationen zu erkennen und zu bekommen. Andererseits hat jedermann das Recht seine Meinung zu äußern. Um alle nützlichen Informationen zu bekommen, braucht das Land einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die ungarische Regierung soll sich darum kümmern, dass Ungarn über ein öffentlich-rechtliches Fernsehen und Radio verfügt und die Regierung soll ein Gremium zusammenstellen, welches den Präsidenten ernennen und wählen soll. Seit knapp zwei Jahren hat das Ungarische Fernsehen aber gar keinen Präsidenten mehr.
Im Jahr 2008 hat Zoltan Rudi seine Arbeit als Präsident beendet. Er war der erste Präsident des Ungarischen Fernsehen, der seine Amtszeit vollständig ausgeübt hatte. Ein Präsident mit vollständiger Amtszeit war damals sehr außergewöhnlich. Die Amtszeit des Präsidenten dauert normalerweise vier Jahre. Aber das Ungarische Fernsehen hatte seit seiner Gründung (1957) 17 Präsidenten. Einige haben gekündigt, einige wurden einfach gefeuert, meist aus politischen Gründen.
Die Politik hat noch immer großen Einfluss auf die Medien. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird vom Staat finanziert, weil die Rundfunkgebühren im Jahr 2002 abgeschafft wurden. Die Werbeeinnahmen sind gering, nach dem Mediengesetz dürfen Werbespots nur sechs Minuten pro Stunde gezeigt werden. Im Jahr 2005 zum Beispiel machten die Werbeeinnahmen von MTV (Magyar Televízió) nur fünf Prozent des ungarischen TV-Werbemarktes aus. Der Werbemarkt wird von den Privatsendern dominiert. MTV hat deswegen immer finanzielle Probleme und ist von den finanziellen Entscheidungen der jeweiligen Parlamentsmehrheit abhängig.
Nicht nur die finanziellen Entscheidungen sind in der Hand der Politiker. Nach dem Mediengesetz soll eine Stiftung für die Meinungsfreiheit, Informationsfreiheit und Unabhängigkeit des Ungarischen Fernsehens verantwortlich sein. Diese "Stiftung Ungarisches Fernsehen" ist der symbolische Eigentümer des Senders. Die Stiftung macht Vorschläge, wie viel Geld das Fernsehen aus dem Haushalt des Staates braucht und wählt den Präsidenten des Fernsehens. Die Vorsitzenden der Stiftung sitzen in einem Kuratorium. Dieses Kuratoriumssystem ist zweistufig: Es besteht aus einem jetzt fünfzehnköpfigen Vorstand und einer jetzt einundzwanzigköpfigen Vollversammlung. Die Mitglieder des Vorstandes werden immer von den Abgeordneten des ungarischen Parlaments ernannt und auch gewählt. Die jeweiligen parlamentarischen Fraktionen sollen die Mitglieder delegieren. Die Regierungsparteien und die Oppositionsparteien sollen die gleiche Nummer von Mitgliedern ergeben. Die Mitglieder dürfen aber keine Politiker und keine Inhaber oder Angestellte von Medienunternehmen sein. Im Prinzip sollen sie völlig unabhängig sein. Die Mitglieder der Vollversammlung sind Abgeordnete von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, zum Beispiel Kirchen, Vereine und Verbände. Sie wurden durch eine Ziehung ausgewählt: 21 Mitglieder für das Ungarische Fernsehen und andere Mitglieder für die anderen öffentlich-rechtlichen Sender. Sie bekommen ihre Stimme für ein Jahr. Sie haben die Aufgabe Geschäftspläne und die Buchhaltung zu bestätigen. So gibt es ein zweistufiges Kuratoriumssystem und dieses System ist schon ein Grund dafür, dass die Stelle vom Präsidenten seit Anfang März 2008 leer ist. Der Vorstand des Kuratoriums soll einen Kandidaten aus den Bewerbern wählen, der von der Vollsammlung anschließend mit einer Zweidrittelmehrheit bestätigt werden soll. Seit März 2008 wurde die Stelle vom Präsidenten sechs Mal neu ausgeschrieben. Zum letzten Mal im September 2009.
Die bekanntesten Kandidaten waren zum Beispiel der ehemalige Vodafone-Marketingleiter Tamás Sztaricskai, der ehemalige Auslandsredaktionsleiter von MTV János Havasi und der ehemalige Vizepräsident von MTV Ferenc Székely. Zwischen János Havasi und Ferenc Székely gibt es noch heute einen großen Wettbewerb. János Havasi ist der Lieblingskandidat der Ungarischen Konservativen Partei (jetzt die größte Partei in Ungarn) FIDESZ. Der Sohn von János Havasi ist der gegenwärtige Presseleiter von FIDESZ, die wahrscheinlich die nächsten Parlamentswahlen im April des folgenden Jahres gewinnen wird.
Der andere Kandidat, Ferenc Székely ist der Lieblingskandidat der Ungarischen Sozialistischen Partei (jetzt die Regierungspartei, nach den Umfragen die gegenwärtig zweitgrößten Partei in Ungarn) MSZP. Ferenc Székely war zwischen 2003 und 2005 Intendant von ATV. ATV ist ein ungarischer Privatfernsehsender, in der Zeit von Ferenc Székely hatte er eine linke politische Orientierung und wurde seitdem als das linke Fernsehen von Ungarn bezeichnet. Gleichzeitig war Ferenc Székely ein inoffizieller Ratgeber und ein Freund von László Kovács, einem Vorsitzenden der Ungarischen Sozialistischen Partei (MSZP). László Kovács war der EU-Kommissar für Steuern und Zollunion zwischen 2004, 2009 wurde er von der linken Partei entsendet.
Seit 2008 gibt es einen Streit, einen Konflikt, wer der Präsident von MTV sein soll. Und es ist auch eine politische, symbolische Frage. Manche sagen, der Präsident muss nicht unbedingt ein Experte aus der Medienbranche sein, er nur soll gute Entscheidungen für bestimmte Parteien treffen.
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