29.10.2024 von Dorina Achelaritei, Rumänien

Rumänien im 2024: 35 Jahre Freiheit

LIBERTATE (Freiheit) war das erste Wort, das ich jemals zu hören bekam.

Es war Ende Dezember 1989 und das ganze Land lag in Trümmern der Diktatur Ceaușescus. Friedliche Proteste haben in verschiedenen Städten angefangen. Ab dem 22. Dezember gab es aber noch Schüsse dazu: angeblich hatten ja “Terroristen” das Fernsehgebäude angegriffen und klar, viele junge Menschen mussten dorthin, um die Zentrale des “Neuen Rumäniens” zu schützen.
Das forderten die “Revolutionäre” des Neuen Rumänien, die im Fernsehturm saßen und erzählten vom Traum der langersehnten Demokratie.
Alles nur ein Märchen. Ohne Happy End.

Aber einige Tage und Tausende Tote später hat die “Revolution” die "Terroristen" besiegt und natürlich sind die “Revolutionäre” einfach an der Macht geblieben.
Sie haben die FSN (die Front zur Nationaler Rettung) gegründet, die das Land bis zu den ersten Wahlen 1990 weiter “gerettet” und dann sogar die 1992 Wahlen gewonnen hat.
Das war der Anfang einer neuen Ära, einer Ära der getarnten Oligarchie, errichtet auf einer Lüge namens “Revolution”.
Die Hauptfigur der FSN, Ion Iliescu, hat anschließend 10 Jahre lang das Land vom Cotroceni-Palast her regiert und eine ganze "Schule" von Politikern “ausgebildet”.

Aber was ist im Dezember 1989 eigentlich passiert? Wer waren die Terroristen? Und wer waren die wahren Revolutionäre?

Erst im Dezember 2018 erhob die rumänische Militär-Staatsanwaltschaft Anklage gegen Ion Iliescu: wegen seiner Rolle in der “Revolution” von 1989 wurden ihm Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen.

Der sogenannte “Prozess der Revolution“ begann am 29. November 2019: vor Gericht standen Iliescu, Gen. Iosif Rus und Gelu Voican Voiculescu. Ihnen wurde vorgeworfen, im Dezember 1989 mit „einer umfangreichen Kampagne der Desinformation“ eine Art „Terroristen-Psychose" geschaffen und folglich bürgerkriegsähnliche Zustände provoziert zu haben, um sich „in den Augen der Bevölkerung Legitimität zu verschaffen“.

Zu diesem Zeitpunkt war das Diktatoren-Ehepaar Ceaușescu bereits entmachtet und in Haft;
drei Viertel der Opfer der Proteste starben danach in Schießereien und Straßenkämpfen, ermordet von einer vermeintlichen Terroristengruppe, die, wie jetzt der Staatsanwalt Ranco-Pitu beweist, war das rumänische Militär, das mit Iliescu einen Pakt geschlossen hatte: umso mehr Blutvergießen, desto weniger Konsequenzen für die Soldaten.

Aber weil die Justiz in den letzten 30 Jahren immer stärker politisiert wurde, sind alle 3 oben genannten Verbrecher immer noch auf freiem Fuß. 35 Jahre nach ihrem Verbrechen.

Und das war nicht das erste Mal, dass Iliescu angeklagt wurde.
In der Akte „Mineriada vom 13.-15. Juni 1990“ wurden ihm Völkermord, Mittäterschaft bei Folter, Kriegspropaganda, unmenschliche Behandlung, Zerstörung, Begünstigung von Kriminellen und Mittäterschaft bei Misshandlung vorgeworfen.
Damals hat er die Bergleute nach Bukarest gerufen, um die protestierenden Studenten zu “beruhigen” - Ergebnis: über 1300 Verletzte und 4 Tote. Und es gab nicht nur 1, sondern 6 Mineriade.

Aber Ion Iliescu ist immer noch frei.

Meine Generation ist mit der Hoffnung aufgewachsen, diejenigen, die den Tod Tausender von Menschen bei der “Revolution” und bei den Mineriade verursacht haben, irgendwann hinter Gittern zu sehen… auch wenn das immer wieder in die Ferne rückt.

35 Jahre Freiheit. Viel hat sich aber auch im Positiven geändert. Die Menschen haben inzwischen bemerkt, dass das Üben ihrer zivilen Rechte hilft, die Gesellschaft irgendwie zu verbessern und verstanden, dass die eigene Stimme zählt.

Dieses Jahr ist das erste Mal seit 1989, dass die wichtigsten Wahlen in Rumänien fast gleichzeitig stattfinden. Es handelt sich um die Präsidentschafts- und die Parlamentswahlen.

Alle Kandidaten wirken irgendwie populistisch und es gibt immer noch keinen klaren Begriff von rechts und links, weil man unter Linke immer noch Ceaușescus gescheitertes Experiment versteht… Aber man spricht immer noch von Freiheit - ein Wort, das vereinigt. Genau wie vor 35 Jahren.

Der NATO- und der EU-Beitritt, der Krieg in der Ukraine, alle historischen Ereignisse der Gegend haben irgendwie Spuren hinterlassen. Und ja, es gibt noch unendlich Vieles, was man noch verbessern kann. Aber die Tatsache, dass man sich seit dem EU-Beitritt 2007 frei bewegen kann, hat zu einem unglaublich nützlichen Austausch geführt: Ideen, Menschen, Potential. Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Eine stärkere Zivilgesellschaft. Eventuell gibt's irgendwann auch Fortschritte in der Politik. Zumindest da gibt's keinen Iliescu mehr. Und das bedeutet schon viel.

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