Die Achter-Jahre haben die moderne tschechische und slowakische Geschichte geprägt. 1918 ist die demokratische Tschechoslowakei entstanden. Zwanzig Jahre später, im Herbst 1938, ist sie zusammengebrochen. 1948 festigten Kommunisten ihre Macht in dem Land und schließlich wurde 1968 der Prager Frühling unterdrückt. Zwei von diesen Ereignissen sind während des gesamten Jahres öffentlich präsenter als die anderen – und zwar die Jahre 1918 und 1968. Absurd sind dabei nicht die Art und Weise des Erinnerns, sondern einige politische Umstände.
Der erste Präsident der Tschechoslowakei Tomáš Garrigue Masaryk (TGM) hat als Motto für die Standarte des Präsidenten „Die Wahrheit siegt“ gewählt. Das Motto besteht auch unter dem gegenwärtigen Präsidenten, der sein Amt jedoch mithilfe von Lügen gewonnen hat und behält. Unter anderem hat Miloš Zeman über den Journalisten Ferdinand Peroutka gelogen. Er behauptete, dass Peroutka in den 1930er Jahren positiv über Adolf Hitler geschrieben habe – in einem Artikel, der aber nicht existiert. Peroutka hat übrigens einige Jahre in Nazilagern verbracht. Und es überrascht nicht, dass er für seine journalistischen und intellektuellen Qualitäten von dem ersten Präsidenten TGM hoch geschätzt wurde, obwohl beide häufig unterschiedliche Positionen vertreten haben. Hundert Jahre nach der Gründung des demokratischen Staates haben wir also einen lügnerischen Präsidenten. Einen vor Gericht bestätigten Lügner.
Und ein anderer Lügner ist zurzeit unser Regierungsvorsitzender: Andrej Babiš alias Agent Bureš, wie er in den Akten der Staatssicherheit (StB) genannt wird. Im August dieses Jahres ist er als Regierungschef zum Pietätakt anlässlich des Jahrestages von 1968 eingeladen worden. Eine peinlichere Konstellation kann man sich kaum vorstellen: Ein ehemaliger StB-Mitarbeiter würdigt den Mut derjenigen, die gegen die Besetzung aktiv gekämpft haben. Außerdem haben sich die meisten Veranstaltungen vorwiegend auf die Besetzung selbst konzentriert und weniger auf seine Auswirkungen, die für die gesellschaftliche Entwicklung jedoch fatal waren. Viele Historiker meinen, dass die sogenannte Normalisierung die tschechische und slowakische Gesellschaft tiefer betroffen hat, als die zwar härtere aber kürzere Zeit der politischen Prozesse in den 1950er Jahren. Andrej Babiš ist ein Mensch, dessen Karriere gerade in den umstrittenen 1970er und 1980er Jahren ihre Wurzeln hat. Trotzdem ist er für etwa 30 Prozent der Wähler akzeptabel. Meiner Meinung nach hängt es mit unserer Unfähigkeit zusammen, mit der Geschichte vor 1989 kritisch umzugehen.
Umso schwieriger scheint es nun, eine wirklich demokratische Gesellschaft aufzubauen. Es wird wahrscheinlich länger dauern, als man geglaubt hat.