30.09.2011 von Kinga Csabai, Ungarn

Warum sind die Rechtsradikalen in Ungarn so erfolgreich?

Schon wieder dieses „Zigeunerproblem“! Weiß wirklich nur die rechtsradikale Partei (Jobbik) in Ungarn die Antwort darauf? Es sieht so aus.

Wie aus dem Nichts ist die Jobbik ins Parlament marschiert. Oder nicht so richtig: es gab in Ungarn schon einmal eine rechtsradikale Partei, die MIEP, die 1993 gegründet wurde. Ihr Name bedeutet auf Deutsch: Partei der ungarischen Gerechtigkeit und des ungarischen Lebens. Sie war zwischen 1998 und 2002 im Parlament mit wenigen Abgeordneten vertreten, schaffte es danach aber nicht mehr ins Parlament. Jobbik ist in Wirklichkeit aus diesen Wurzeln gewachsen und wurde viel populärer als ihr Vorgänger. Schon bei den EU-Wahlen 2009 konnte Jobbik eine Abgeordnete nach Brüssel schicken. Die Partei besteht hauptsächlich aus jungen Politikern, die besser verstehen, was die Leute in Ungarn möchten – zumindest sieht es so aus.

Geheimnis der Popularität – Wer hat die Antwort auf die Probleme der Gesellschaft?

Es gibt ein Thema, auf das die anderen Parteien keine richtige Antwort gefunden haben – das „Zigeunerproblem“. In den letzten 20 Jahren wurde dieses Problem nur größer, aber nie gelöst. Im Zuge des Abbaus des alten sozialistischen Systems wurde auch die Industrie, wo viele „Zigeuner“ Arbeit gefunden hatten, abgebaut. Sie wurden mit der Zeit überflüssig. Da sie hauptsächlich ungebildete Facharbeiter waren, fanden sie sich schnell auf der Straße wieder. Statt zu arbeiten begannen sie, viele Kinder zu kriegen - es lag sowieso in ihrer Kultur, dass sie in Großfamilien lebten. Viele von ihnen haben eine neue Lebensform begonnen: vom Kindergeld zu leben. Manche wurden auch kriminell. In Wahrheit sind nicht alle von ihnen „Zigeuner“. Diese Gesellschaftsgruppe besteht aus Leuten, die auf einem sehr niedrigen Lebensniveau leben, egal ob sie „Zigeuner“ sind oder nicht. Die Kriminalität in dieser Gruppe wird immer höher und höher. Sie stehlen von den Dorfbewohnern, was diese in ihren Gärten anbauen: Obst, Gemüse und auch Kleintiere wie Hühner und Gänse. Wenn viele von ihnen in einem Dorf leben, lohnt es sich nicht mehr für die anderen Bürger, etwas für sich anzubauen, da es fast immer gestohlen wird. Die Leute haben mit der Zeit Angst vor ihnen bekommen und langsam ihre Heimatdörfer verlassen. Wer das nicht getan hat, hat es schwer. Ein hochrangiger Polizeibeamter berichtete, dass eine alte Frau erleben musste, wie ihr Schwein auf ihrem eigenen Hof geschlagen wurde. Sie traute sich nicht mal mehr aus dem Haus. Und dies ist kein Einzelfall! Die Leute trauen sich nicht mehr, ihre Güter zu beschützen, sonst werden auch sie geschlagen. Und die Polizei kann nicht neben jedes Huhn eine Wache stellen.

Diese Lage führte dazu, dass die Rechtsradikalen auf dem Feld der Politik erfolgreich wurden. Die Leute haben die Machtlosigkeit der Regierung gesehen und waren offen, auch, für schnelle und radikale Lösungen. Bei den Parlamentswahlen von 2010 hat Jobbik mehr als 16 Prozent erreicht, obwohl die Partei erst 2003 gegründet wurde und sich bisher am Rande der Politik bewegte.

Suchen nach Ursachen

Das Wahlergebnis war ein Schock für Gesellschaft und Politik und ein gutes Gesprächs-und Forschungsthema für Politikwissenschaftler. Es kam schnell heraus, dass Jobbik da erfolgreich war, wo die Leute, unter ihnen hauptsächlich „Zigeuner“, auf einem niedrigen Lebensniveau leben. Die Mehrheit hat die Nase voll von der kriminellen Minderheit.

Welche Antworten hat Jobbik?

Jobbik sagt, dass die „Zigeunerpolitik“ der letzten Jahre gescheitert ist. Die Hauptsache ist öffentliche Sicherheit! Deswegen fordert Jobbik mehr Polizisten auf den Straßen und die Wiederaufstellung der Gendarmerie. Sie haben auch ein Modellbeispiel geschaffen: das Modell von Erpatak. Erpatak ist ein Dorf in einer armen Region von Ungarn, wo dieses Modell schon seit mehreren Jahren mit Erfolg unter der Leitung des rechtsradikalen Bürgermeisters funktioniert. Frei nach dem Motto: Ordnung muss sein! Der Bürgermeister sagt: Ohne öffentliche Sicherheit funktioniert nichts. Die hat hohe Priorität und wurde von allen Bewohnern von Erpatak erwartet. Wer nicht mitmacht, der kann gehen. Und ja: zwischen 2007 und 2008 ist die Anzahl der Kriminalitätsfälle um zwei Drittel gesunken.

Was noch wichtig ist: Dieses Modell möchte die zerspaltene Gesellschaft wieder zusammenfügen. Also ist es egal, ob jemand „Zigeuner“ ist oder nicht, ob jemand ein Anhänger der rechten oder linken Partei ist – der Bürgermeister sagt: Gesellschaftliche Unterschiede zählen nicht mehr, nur eines zählt: ob jemand für das Dorf arbeiten möchte oder nicht.

Und wie zum Beispiel? Die Dorfverwaltung hilft bei den Anbauarbeiten im Garten. Aber wenn die Besitzer ihren Anbau nicht mehr pflegen und nur Unkraut wächst, muss man die Kosten der Anbauarbeit zurückzahlen.

Oder: jeder, der Arbeitslosengeld vom Staat bekommt, muss für einige Monate lang öffentliche Arbeit leisten, das heißt, er/sie muss z.B. bei den Reinigungsarbeiten im Dorf mithelfen. Aber wenn jemand während der Arbeit Alkohol trinkt, kommt gleich das Röhrchen und er/sie hat keine Arbeit mehr und kriegt auch kein Arbeitslosengeld mehr für drei Jahre.

Über Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit kann man theoretisch diskutieren. Aber die Wahlergebnisse sehen so aus, dass die Bürger von Ungarn, hauptsächlich die Bürger aus den armen Regionen des Landes, die Nase voll haben von Theorien und Experimenten. Sie möchten schnelle und effektive Antworten auf ihre Probleme und sie sind nicht mehr so richtig an Menschenrechten interessiert. Und da bietet sich für Jobbik die Möglichkeit einer noch höheren Popularität.
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