Wahrscheinlich gibt es keine Person in Litauen, die nach der Unabhängigkeit ihr eigenes Leben nicht verändert hat.
Heute, nach mehr als zwei Jahrzehnten, ist es möglich zu sagen, dass die Öffnung der Grenzen für uns wie ein Tsunami mit einer unbekannten Kultur, Werten, Lebensstil, neuen Traditionen, Chancen und Verlusten hereinbrach. Plötzlich ist die sowjetische Zensur verschwunden. In der Sowjetzeit hatte die Zensur einen großen Einfluss auf die Arbeit der Künstler und auf die Theateraufführungen.
Es mag paradox klingen, aber dank der Zensur kam die Sprache Äsops hervor. Litauische Theaterkoryphäen haben die Sprache bis hin zu Metaphern und Symbolen vollkommen gemacht und zugleich ein poetisches Theater geschaffen. Deshalb werden unsere Regisseure im globalen Kontext geschätzt. Allerdings kam erst fünf Jahre nach unserer Unabhängigkeit eine andere Frage auf – Wie geht es weiter? Wie können wir es jetzt schaffen, welche Sprache haben wir im Theater, was wird für unser Publikum interessant sein? Es war sonnenklar, dass die Metaphern veraltet sind, dass wir nicht wissen, wie man frei sprechen kann und wofür wir uns heute wirklich interessieren.
Einerseits hat die metaphorische, poetische Sprache überraschende Entdeckungen auf unsere Bühne gebracht und unvergessliche visuelle Kunstszenen kreiert, andererseits haben wir vergessen, normal zu sprechen. Jedoch bis heute haben unsere Regisseure, Schauspieler und Bühnenbildner keine andere Sprache geschaffen. Ja, es gibt verschiedene Versuche, aber heute zu definieren, was ein herausragendes Merkmal des litauischen Theaters darstellt, ist noch kompliziert.
Heute hat das Theater seine Mission noch nicht entdeckt. Sie ist in der kommerziellen Zensur oder wegen des kommerziellen Drucks verloren gegangen. Es ist nicht klar, welche Themen wir erörtern sollen. In letzter Zeit begannen Theaterkünstler die Gesellschaft zu Debatten über die Auswanderung einzuladen. Allerdings besteht die Mission unseres Theaters meist darin, das Publikum zu unterhalten.
Zurück zum Thema. „Gibt es noch eine Zensur für Künstler? Ab und zu können wir dies bestätigen. Die Beispiele zeigen, dass unsere Demokratie noch jung ist. Vor einem Jahr fanden wegen Skulpturen am Ufer des Flusses Neris heftige Debatten in der Stadtverwaltung von Vilnius zu statt. Es ist möglich, zu sagen, dass die Rechte des Künstlers durch die Zensur verletzt wurden. Politiker wollten die Kunstobjekte, die ihnen nicht gefallen haben, entfernen.
Wenn wir über Theater sprechen, sollte ein Fall erwähnt werden. Werbeplakate für eine Uraufführung im Schauspielhaus mussten unverzüglich entfernt werden. Darauf waren angeblich alte nackte Menschen dargestellt. Tatsächlich waren es Gummistoffimitate, die von Schauspielern getragen wurden. Das Verbot zeigt, dass die Werbung, die eine Wertentwicklung darstellt, nicht gezeigt werden sollte. Doch auf diesen Plakaten war nichts falsch oder per Gesetz verboten. Im Gegensatz dazu können wir solche Formen der Werbung in allen Massenmedien finden. In der Werbung sollen also nur schöne junge Körper ohne Zensur vorkommen. Das betrifft nicht die alten Körper.
Vor kurzem gab es in Litauen eine Situation, wo der weltberühmte Regisseur Romeo Castellucci sein Werk „Über das Konzept des Gesichts, Gottes Sohn betrachtend“ gezeigt hat. Im litauischen Parlament, das vor den Wahlen stand, hat man diskutiert und gestritten, ob man die Aufführung verbieten sollte oder nicht. Die Zensur sollte hier vielleicht auch eine politische Rolle spielen. Als die Wahlen stattfanden, wurde diese Frage komischerweise nicht mehr aktuell aufgegriffen.
Solche Situationen gibt es nicht oft. Trotzdem ist bemerkenswert, dass die Zensur von Zeit zu Zeit greift. Vielleicht können wir noch eine Frage stellen: Ist unsere Zivilgesellschaft reif, um den Künstler mit seinen eigenen Ideen und seiner Sicht zu verstehen und Toleranz für sein Schaffen zu zeigen? Die Künstler haben heute die Möglichkeit individuell ohne Hilfe durch die Öffentlichkeit für ihre Rechte frei zu kämpfen und ihre Ideen den Menschen vorzutragen.
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